Elisabeth Friebel wird 100

Heitere Anekdoten um eine gewitzte Dame

von ***

Foto © Lothar Dröse
17. Mai 2011
 
Elisabeth Friebel wird 100
 
Heitere Anekdoten um eine gewitzte Dame
 
Ich komme gerade rechtzeitig zum Mittagessen. Oma, Neunundneunzig, sie hat heute Geburtstag, hat sich zu uns gesellt, nachdem sie bereits die ersten Nachrichten im Fernsehen angeschaut hat.
Nach und nach nehmen wir am Mittagstisch Platz, fast die ganze Familie. Draußen gehen Kirchgänger auf dem Heimweg vorbei. Eine Nachbarin, deren kürzlich geborener Sohn im Kinderwagen auf den Namen Lasse Finn getauft wurde. Ich neide ihm diesen Namen, der so erfrischend und zukunftsfreudig klingt.
Während wir noch abwartend sitzen, frage ich Oma, ob wir heute wieder einmal ein Gedicht hören dürfen. „Erst du“, sagt sie. Natürlich kann ich mich nicht drücken, ich trage den „Panther“ von Rilke vor, eines der Gedichte, an die ich mich vollständig erinnere. Oma antwortet mit dem Erlkönig, und alle am Tisch hören anerkennend zu.
 
„Und jetzt singen!“ schlage ich vor. Oma gibt einschränkend zu bedenken, daß sie mit der Stimmhöhe nicht mehr so stabil sei, aber dann singt sie ein Lied, von dem sie sagt, daß es in ihrer Jugend genau so populär gewesen sei wie die Nationalhymne,
nämlich
 
Dem Kaiser sei mein erstes Lied,
ihm gilt mein erster Klang.
Ihn preis ich, was ich preisen kann
mein ganzes Leben lang.
 
Ob jedes Wort stimme, wisse sie nicht, sagt Oma, als sie in unsere begeisterten Gesichter blickt.
Es schellt. Die Nachbarn stehen im Türrahmen und stimmen ein Geburtstagslied für Oma an. Plötzlich sind Haus und Garten erfüllt von Menschenstimmen, und Omas Augen glänzen.
Ich sage, das sei alles so gut gewesen, daß wir jetzt bereits mit unserem Sonntagsritual einsetzen könnten. Ich fülle die Schnapsgläser mit Eierlikör, erhebe meines und proste Oma zu. Auch sie erhebt das Glas - und damit sind wir schon mitten in den Lüsten des Sonntags.
 
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Oma half mir bei Weihnachtsbriefen. Sie klebte die Absender-Etiketten auf. Dann legte sie sich wieder ins Bett, rief aber durch die Türe: „Das war eine Sklavenarbeit“.
 
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Ich fand auf einem großen Parkplatz nachts im Schnee meinen verlorenen Schlüssel im Taschenlampenkegel wieder. „Ist das nicht ein Wunder, Elisabeth?“, sagte ich. „Jetzt gehst du mit mir am Sonntag aber endlich einmal in die Kirche.“
„Kann ich nicht zur Übung erst einmal woanders hingehen?“ fragte sie.
Sie ist eine knochenharte Atheistin.
 
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„Die Hanni vom Turnverein macht jeden Morgen zehn Minuten Gymnastik“, sagte ich zu Oma. „Die Hanni ist Fünfundneunzig“.
„Dann kann sie noch viel erreichen“, antwortete Oma. „Ich mache morgens dieses Schulter nach hinten Stemmen im Bett. Die Rückenschmerzen sind weg. Kann die Hanni auch den Feldaufschwung?“
„Kannst du ihn denn?“
„Natürlich“, sagt Oma. „Zuletzt habe ich ihn 1923 gemacht. So etwas verlernt man nicht.“
 
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21. 6. 2009
Oma war mit Anna und ihrem Freund Philipp in Carolinensiel. Saß tagsüber im Strandkorb. Sie kam braun gebrannt und munter zurück.
Heute sagte ich zu Oma: „Alle, denen ich davon erzähle, bewundern deinen Unternehmungsgeist. Weil du an der Nordsee warst.“.
„Sie bewundern mich?“
„Ja.“
„Das ist auch angebracht“, sagt sie nach kurzem Überlegen.
 
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Oma interessiert sich für die Fußball-Weltmeisterschaft, aber sie mag nicht ein ganzes Spiel lang in den Fernseher gucken.
„Schaut Ihr mal“, sagt sie, „ich lese hier gerade einen zusammenfassenden Artikel in der Süddeutschen. Kann ich euch nachher berichten. Ist vielleicht übersichtlicher.“
                      
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Vor längerer Zeit hatte Oma mal eine kleine Absence, als sie auf der Eckbank saß. Sie sank zur Seite; ich glaube, Maren fing sie auf.
Oma öffnete die Augen und sagte: „Das war nur zur Probe“.
 
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12.7.10
Als wir heute Nachmittag von einer Reise nach Lauterbach und Marburg zurückkamen, goß Oma gerade die Blumen.
„Prima“, sagte ich. „Bei der Hitze haben die Durst. Da bist du mitfühlend.“
„Natürlich“, sagt sie trocken.
„Eben tief veranlagt.“
Oma überlegt einen Augenblick. „Veranlagt schon“, sagt sie dann.
 
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Die Enkelin zeigt Oma ein Bild in der Zeitung:
„Wer ist das?“
„Das ist ein ukrainisches Model.“
„Und warum muß die auf die erste Seite?“
„Weil sie die Freundin von Lothar Matthäus ist.“
„Und wer ist das?“
„Das ist ein bekannter Ex-Fußballer.“
„Kenne ich nicht. Und deswegen mußte sie auf die erste Seite?“
 „Ja.“
„Das ist das Sommerloch“, sagt Oma nachdenklich. „Den Zeitungen fällt nichts ein.“
„Inzwischen macht sie aber mit einem reichen Italiener rum“, sagt Anna.
„Ich weiß, warum sie den gekriegt hat“, sagt Oma selbstsicher. „Bloß wegen dem Fußballer.“
 
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Beim Hinausgehen sage ich zu Oma: „Behalte aber alles im Griff.“
„Ich habe schon damit angefangen“, antwortet sie.
 
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Die Nachbarin sagt scherzend zu Oma:
"Na, heute wieder nicht in der Kirche?"
"Ich hab schon ein bißchen gesungen", antwortet die.
                      
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Sie möge gut aufpassen, sagten wir zu Oma, als wir für eine Stunde weggehen wollten. Ihre Antwort:
„Mir soll keiner entkommen.“
                      
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„Elisabeth“, sage ich, „eines weißt du nicht, nämlich, daß ich alle deine subversiven Aussprüche im Computer speichere.“
„Mach, was du willst“, antwortet sie, „aber wenn du so etwas drucken läßt, will ich die Tantiemen haben.“
                        
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„Geht ruhig spazieren“, sagt Oma, „als ich in der Bank war, habe ich mich auch um alles im Hause gekümmert. - Wenn ich Lust hatte.“
 
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Die Enkelin hat gerade ihre Diplomarbeit eingereicht. „Jetzt werde ich mich wohl um Arbeit kümmern müssen“, sagt sie wehmütig.
„Vielleicht findet sich ja ein Ausweg“, sagt die Oma tröstend.
                        
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Oma sitzt auf dem Bettrand und hat ein Magazin auf den Knien. Sie deutet auf eine aufgeschlagene Seite und sagt: In Straßburg gibt es jetzt den Europäischen Gerichtshof. Da kann man mit allem hingehen, womit man hier nicht durchkommt.“
„Prima“, sage ich. „Dann werde ich mich dort über dich beschweren. Weil du zu wenig trinkst.“
„Die werden das ablehnen“, antwortet Oma. „Die hören auf jemand wie mich, jemand mit Erfahrung.“
 
Nach dem Essen schaut Oma aufmerksam zu mir herüber.
„Es war nur ein Glas, Oma“, sage ich. „Bedenke das.“
„Jawohl ", antwortet sie bedeutungsvoll. „Bedenklich.“
 
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Eine der Töchter berichtet mir, daß Oma plötzlich entschieden habe, heute nicht mit nach Bonn zu fahren.
Ich erkundige mich bei Oma. War sie zu müde? Hat sie sich nicht wohlgefühlt?
 „Alles das nicht“, sagt Oma. „Nur allgemeine Verstocktheit.“
Wie begnügen uns mit dieser Erklärung.        
 
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11.2.2011
Angelika, die sich auch um Oma kümmert, verabschiedet sich fürs Wochenende: „Jetzt kann ich Sie zwei Tage lang nicht quälen.“
„Ob das ausreicht?“ fragt Oma.
                        
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26..2.11
An diesem Sonntagabend frage ich Oma, ob wir zusammen einen Grog trinken sollten. Sie ist dafür. „Ich nehme für dich nur die halbe Ration Rum“, sage ich. „Wir wollen vorsichtig sein.“
Oma nickt.
„Ist er gut?“ frage ich nach dem ersten Schluck.
„Es geht.“
„Wieso?“ frage ich erstaunt.
„Er könnte stärker sein“, sagt Oma.
             
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„Ich habe euch würdig vertreten“, sagt Oma bei unserer Rückkehr vom Spaziergang.
„Und? Irgendwelche Einfälle für den Rest des Tages?“
„Keine Einfälle“, antwortet Oma. „Nur Ausfälle.“
 
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„Hier steht, daß Altwerden nichts für Feiglinge ist“, sage ich zu Oma.
„Man braucht auch gute Nerven“, ergänzt sie.
                  
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Ich stecke den Kopf durch ihre Zimmertüre: „Alles in Ordnung?“
Oma antwortet: „Alles in Ordnung. Du wolltest dich sicher vergewissern, daß ich ordnungsgemäß auf dem Bettrand sitze?“
                      
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26. 3. 11
Oma ertappt mich vor dem offenen Kühlschrank.
„Ich sehe, uns treibt der gleiche Instinkt“, sagt sie.
                      
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Von Anna berichtet:
Anna: "Oma, dein Ausweis ist im Juni abgelaufen."
Oma "Ja, hopp, dann verlängern! Es ist nicht gesagt, daß ich dann schon tot bin. "
Anna: "Nee, er ist schon abgelaufen im Juni letzten Jahres."
Oma: "Ja, dann erst recht." Dann bin ich noch weniger tot.
                              
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Beim Essen an Heiligabend vor der Bescherung
Mama: “Mein verdammter Drucker hat mir wieder den ganzen Tag Probleme gemacht.“
Oma: „Was?? Die Kinder haben mir 50 Euro abgeknöpft und behauptet, das wäre für einen Drucker für dich! Bin ich betrogen worden? Ein defekter Drucker?“
                      
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15.4.11
Heute habe ich mich von Oma mit militärischem Hand-an-die-Hutkrempe- legen verabschiedet. Sie grüßte militärisch zurück, indem sie die Handkante an die sorgfältig ondulierte Silberfrisur legte.
 
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Das Mittagessen ist vorbei. „Oma, willst du ins Bett oder in den Garten?“ fragt meine Tochter.
„So halb und halb wäre mir am liebsten“, sagt Oma.
„Tja, immer wieder diese Entscheidungen!“ ergänze ich.
Oma nickt: „Und auch noch so weitreichende“.
 
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„Wenn man alt ist, ist man müde. Ausruhen nützt da nicht viel.“
 
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„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Aber man sollte immer etwas Silbergeld zur Hand haben. Kennst du den Spruch, Oma?“
„Natürlich.“
„Und was bedeutet er?“
„Plappern“, antwortet sie.
 
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Oma sitzt auf der Terrasse. Jemand hat ihr die Zeitung gebracht, aber verkehrt herum auf den Tisch gelegt.
„Oma! Beim Lesen mußt du sie herumdrehen.“
„Was du nicht sagst!“
„Das lernt man doch schon gleich am Anfang in der Schule, Oma.“
„Da habe ich gefehlt“, sagt Oma.
                       
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Oma liest im Garten in einer schattigen Ecke.
„Elisabeth, ich gehe jetzt für eine Stunde ins Büro. Ich sage allen, daß sie sich in entscheidenden Fragen an dich zu wenden haben.“
Oma winkt andeutungsweise zum Abschied. „Das wissen die sowieso“, sagt sie.
                        
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Redaktion: Frank Becker
(hat heute auch Geburtstag)