Der Icherzähler

Joseph Zoderer - "Die Farben der Grausamkeit"

von Bernhard Nußbaumer
Der Icherzähler
 
Ein Germanistikstudent lernt im ersten Semester zwischen Autor und Protagonist einer literarischen Fiktion zu trennen. Doch manchmal machen es einem Texte schwer, diese Trennung sauber und nahtlos durchzuhalten. So ein Text ist der neue Roman aus der Feder von Joseph Zoderer, dem offiziellen Doyen der Südtiroler Literatur.
Darin verarbeitet der Autor im Privatesten durchaus Welthaltiges, schöpft aber auch sehr erkennbar aus der autobiografischen Quelle. Worum es in der Erzählung geht, ist schnell gesagt: ein Mann zwischen zwei Frauen und zwei Lebensentwürfen; einem gediegenen Familienleben am abgeschiedenen Bergbauernhof und amourösen Eskapaden mit der Langzeitgeliebten Ursula (die im zweiten Teil der Geschichte Miguela heißt) vor verschiedenen europäischen Großstadtkulissen, Paris, Barcelona und Berlin.
Du liebst das Nirgendwo, sagt Selma auf Seite 175 zu Richard, und sie muß es wissen, denn sie ist schließlich seine Frau. Er, der Journalist und spätere Auslandskorrespondent eines Radiosenders, jettet zwischen Paris, Berlin und dem Bauernhof, den er sich in einem Tiroler Bergtal gekauft hat, hin und her, offiziell der Weltgeschichte auf der Spur, aber in Wirklichkeit hinter der Jugend her, den Frauen, Abenteuern und auf der Flucht vor: Seßhaftigkeit, Verantwortung, Familie, seiner Ehe, seinem Leben. Wie nebenbei geht in Berlin der Eiserne Vorhang auf, aber auch das ist nur eine Bühne für die Selbstverwirklichungsinszenierungen des Selbstdarstellers. Die große, die politische Freiheit ist nichts als ein Spiegelbild der Freiheit des Protagonisten, die eigene Frau zu betrügen.
 
Eine moderne Thematik von durchaus gesellschaftlicher Relevanz, bei Zoderer aber eher im Stil einer Heldengeschichte vorgetragen; dem Mann liegen die Frauen zu Füßen, der offensichtliche Betrug löst kaum eine mittelschwere Ehekrise aus, von der Grausamkeit, welche der Titel verspricht, weit und breit eine Spur. Und kaum eine kritische Brechung der männlichen Sichtweise, wenig Abstand oder gar Ironie zur Figur des Protagonisten. Die Frau schlüpft wie selbstverständlich in die Rolle von Hausfrau und Mutter, hängt den Beruf einer erfolgreichen Architektin widerstandslos an den Nagel. Die Freundin ist wunderschön, begehrt und trotzdem nur ihm sklavisch verfallen. Statt die Brechungen einer solchen Situation auszuloten, berichtet das Buch von endlosen Restaurantbesuchen, Urlaubsreisen und Bettszenen, so daß sich der Leser schon auch mal fragt: Ja, arbeitet denn dieser Richard auch mal? Denn dazu erfahren wir, außer: Richard war ein schlechter Journalist (S.194), so gut wie gar nichts. Was als Midlife-Drama eines Mannes daherkommt, ist in Wirklichkeit das Protokoll eines wenig leidenschaftlich geführten Ehekrieges, bürgerlich abgesichert durch das Gestell des vorhersehbaren Lebens, das auch bei härtester Belastung nicht bricht, wo noch der schrillste Krisenausbruch von gedämpfter Hintergrundmusik a la Schumann und Chopin aufgefangen wird und zerbrochenes Porzellan vom dicken Perserteppich fast unhörbar geschluckt wird.
 
Joseph Zoderer ist mit 75 Jahren und nach einem Leben als Berufsschriftsteller natürlich Profi genug, um auf der Beschreibungsebene stimmige Bilder zu evozieren und seinen Zeichnungen Fülle zu verleihen. Und dennoch bleibt der Leser nach dem Ende mit dem Gefühl einer gewissen Leere zurück; daß der Held am Ende zur Frau zurückkehrt, die ein drittes Kind von ihm erwartet, während die Freundin ihr Kind von ihm abgetrieben hat, wirkt - wie so vieles - in der Geschichte zu konstruiert und plakativ, um wirklich Eindruck zu hinterlassen.
 
 
Joseph Zoderer: Die Farben der Grausamkeit. Roman, Roman
© 2011 Haymonverlag, 336 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-85218-684-9
€ 19,90 / CHF 30,50
Weitere Informationen unter: www.haymonverlag.at