Kolumnen aus dem Alltag

Jan Weiler - "Mein Leben als Mensch"

von Frank Becker
„Der Triebkopf ist kaputt“
 
Jan Weiler plaudert sympathisch
aus dem Alltag
 
Biedere Männer in Jack Wolfskin-Jacken, Pullover mit V-Ausschnitt und Haarkranz, Frauen mit praktischer Kleidung und sehr praktischen Frisuren – im Saal viele Lehrer (wie durch Kommentare zu erfahren war) – Jan Weiler zieht sein Publikum: Scheitern als Weg. Eines unser aller Kernthemen ebnete am vergangenen Donnerstagabend dem Romanautor („Maria, ihm schmeckts nicht“) und Kolumnisten (gelegentlich fälschlich auch als „Kommunist“ apostrophiert) Jan Weiler den Einstieg in seine fast 2½-stündige Lesung in der Remscheider Klosterkirche: die Deutsche Bahn – die früher Deutsche Bundesbahn hieß und pünktlich war - und ihre Verspätungen. Da ist doch gleich jeder dabei und Weiler konnte offene Abteiltüren einrennen. Lästig, als es geschah: lustig, wenn er später die Pannen-Durchsage von zager Jungmännerstimme auf der Zugfahrt nach Mannheim (oder war es Göttingen?) kolportiert: „Der Triebkopf ist kaputt. Aber wir haben jemanden dabei, der etwas davon versteht.“ Nach langer Geduldsprobe von 105 Minuten, wie unverwundbar: „Sssenkju for reising wis se Deutsche Bahn“.
 
Der Verfasser wöchentlicher Kolumnen in der Welt am Sonntag (früher „Stern“) ist ein liebevoller Familienvater (Gattin Sarah und zwei Kinder Carla und Nick) und charmanter Plauderer, als er zum einen erzählt, wie ihm Peter Alexander beinahe das Schwimmen im Wörthersee beigebracht hätte, zum anderen wenn er den schier hoffnungslosen Kampf gegen die Macken einer pubertierenden Tochter aufnimmt – „Halloooo? - Pappaaaa!“ Wer kennt den Ton nicht? Bei den zahlreich anwesenden Eltern im Saal, die sich und ihre Kinder besonders im Peinlichen durchaus erheitert wiedererkannten, fand er jedenfalls uneingeschränkte Zustimmung. Sein Wissen um einen Teil der juvenilen Geheimnisse dankt Weiler übrigens der Spionage-Lausch-Ausrüstung, die als Zugabe, man nennt das heute Gimmick, Sohn Nicks Micky Maus-Heft beigelegt war.   
 
Gespickt mit Anekdoten aus Alltag und Familienleben flogen die Stunden der kurzweiligen Lesung aus seinen aktuellen Büchern „Mein Leben als Mensch“ und „39 Kostbarkeiten“ förmlich. Es sind Anekdoten, die man unbedingt lesen oder aus seinem Mund hören muß - sie aus zweiter Hand zu vermitteln ist ein wenig wie die Stille Post. Aber wir lernen: Diskretion unter Frauen heißt, niemals über Anwesende sprechen. Ansonsten: gnadenlose Bloßstellung. Jan Weiler hat es hautnah erfahren, da ihn Sarah überall mit hin schleppt. Die kürzeste Kolumne der Welt ist: Die Salzstange ist das Baguette des Kleinen Mannes. Und der kürzeste (von Kindern nicht verstandene) Witz geht so: Kommt ein Zyklop zum Augearzt. Jan Weiler erweist sich als pointierter Witze-Erzähler, sehen wir mal von dem endlosen Anisplätzchen-Witz zu Beginn ab, der (geplant?) überhaupt nicht komisch war. Aber nehmen wir den: Kommt ein Mann zu Urologen. Sagt der Urologe: Sie müssen mit dem Onanieren aufhören. – Wieso? – Weil ich Sie sonst nicht untersuchen kann.“ Also, der ist doch wirklich gut, vor allem die Damen im Saal lachten herzhaft, aber der PC wegen anderenorts eigentlich nicht wiederzugeben. Oder der: Was haben ein VW-Bus und Christus gemeinsam? Klar: beide sind M(eh)ärt(ü)yrer. Geht auch nicht? Na gut.
 
Weilers harsche Abrechnung mit der Frühlingsparade der Volksmusik – Florian Silbereisen, Stefanie Hertel, Brunner & Brunner, Hansi Hinterseer – („das Bolzenschußgerät der deutschen Seele“), Gott (Karel), DJ Ötzi, Kastelruther Spatzen, Die Amigos, Die Cappuccinos, Mary Roos, Höhner u.a.m. - läßt alle Dämme brechen und Lachtränen über die Wangen kullern. Endlich einer, der gegen Millionen von Dumpfbacken zur Attacke bläst. Natürlich hört nie und nimmer einer der jeweils Anwesenden je den Musikantenstadl oder ähnliche subversive Veranstaltungen, doch die Stars im Trachtenjanker verkaufen nachweisbar Millionen ihrer CDs.  
Weilers Erlebnisse bei Ikea, vor allem im Kinderparadies Småland wurden schnell zum Beleg für kollektive Erfahrungen: „Der kleine Nick möchte nicht aus Småland abgeholt werden.“ Wer will schon die Geborgenheit der schwedischen Übermutter verlassen? Die Ikeaisierung der Gesellschaft ist ein ernst zu nehmendes Phänomen! Über das gesetzte Abendessen bei Brodmanns mit drei Stunden Geschlechterkampf reden wir nicht groß. Ein herrlicher Abend.

Weitere Informationen unter: www.janweiler.de  und  www.rowohlt.de