Dürfen wir alles, was wir können?

Musenblattschuß für ein Konzert, das Fragen aufwarf

von Frank Becker
Dürfen wir alles, was wir können?
 
Ein Konzert unter dem Titel
„Über die Grenzen geschaut“
in der Pauluskirche Remscheid-Hasten
warf Fragen auf
 
Vier zeitgenössische Kompositionen von Thomas Meyer (*1971), Ulrich Halbach (*1951), Joachim Blume (1923-2002) und sich selbst hatte Organist Franz Pembaur (*1959) für ein waghalsiges Programm zusammengestellt, mit dem er am vergangenen Sonntagnachmittag ganze 29 Zuhörer konfrontierte (zwei Pressevertreter nicht mitgezählt). Ein Programm, das wider alle Hörgewohnheiten unter einem Kirchendach kräftig gegen den Strich gebürstet war.
Pembaur machte den Anfang mit seiner Choralfantasie für Orgel „Du höchstes Licht“, die auf einer Melodie aus dem 15. Jahrhundert fußend alle Möglichkeiten der klangvollen Schulte-Orgel aus dem Jahr 1985 ausschöpfte. Das war gewöhnungsbedürftig, ließ sich aber hören. Musikalisch war dieser Beitrag vielleicht der interessanteste des Nachmittags.
 
Etwas wie die darauf folgende Uraufführung der Komposition „Lebensböen“ für Oboe und Orgel von Thomas Meyer bekommt man zum Glück nur ganz selten zu hören. Zwei Organisten (Franz Pembaur und Matthias Tscharn) entlockten dem Instrument kakophone, dissonante Töne an den Grenzen der Erträglichkeit, gelegentlich auch darüber hinweg, während von der Galerie aus die Oboe (Lisa Pembaur) in endlos nervtötenden Schleifen die tragende Rolle in dem spürbar bemüht modernen Stück, das sich für Neue Musik zu halten schien, übernahm. Man möchte kaum glauben, daß ein Komponist ernsthaft die Spökenkiekerei angeblicher Stimmaufzeichnungen aus dem Jenseits (Woods/Greene) als Basis für eine Tondichtung benutzt. Aber genau das spielte sich hier ab. Wegen eines dauerhaft unterlegten schmerzhaften Diskant – für Tinnitus-Patienten kein unbekanntes Geräusch – bietet sich ein Zitat Wilhelm Buschs an: „Musik wird störend oft empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden“. Sagen wir es offen, das war barer (un)musikalischer Unfug. Von Körperverletzung möchte ich noch nicht sprechen, es fehlte zumindest der Vorsatz dazu, darf man annehmen. Doch vor einer Wiederholung sollte man unbedingt einen Otologen fragen. Die Besucher ertrugen die 27 (!) Minuten mit nötiger Geduld und teils zugehaltenen Ohren. Auf einen solchen „Blick über die Grenzen“ verzichtet man gerne.
 
Originell und rhythmisch zeigte sich hingegen Ulrich Halbachs „Die Träume des Zimmermanns“, ein Stück über Joseph, sie wissen schon, den Tischler aus Nazareth mit dem untergeschobenen Sohn, das von fünf Querflöten, einer Art perkussiver Werkbank und einer Spannsäge, auch Zimmermanns-Säge genannt, getrommelt, geflötet und gesägt wurde. Das war lustig. Die dazu projizierten erläuternden Texte der Josephs-Geschichte erinnerten jedoch an die Einblendungen bei Stummfilmvorführungen. Da konnte bei allem Ernst der Sache ein Schmunzeln nicht ausbleiben.
 
In Joachim Blumes „Protuberanzen“ für Orgel werden die eruptiven physikalischen Vorgänge der Sonne mit religiösen Gedankenflügen verknüpft. „Dürfen wir alles, was wir können?“ hatte Franz Pembaur eingangs dieser Aufführung gefragt. Diese Frage lasse ich gerne im Raume stehen. Zur Musik, die Pembaur auf der Orgel interpretierte, hatte Pfarrer Siegfried Landau eine Bildbegleitung geschaffen, deren Botschaft war, die Kraft der Sonne mit dem christlichen Begriff „Gott“ gleichzusetzen. Das geriet dann leider bei allem guten Willen durch die Bildauswahl zu süßlich triefendem religiösem Kitsch – spätestens mit der minutenlangen suggestiven Überblendung eines Christuskopfes mit einer orangefarbenen Sonnenscheibe. Auch das hätt´s nicht gebraucht – um eine weitere prominente literarische Figur zu zitieren.
 
Eine Veranstaltung, die eine seltene Zuordnung redlich verdient hat: den Musenblattschuß.