Gegen den Strom der Zeit

Walter Wippersberg - "Vierzehn Monate. Vierzehn Jahre"

von Helmuth Schönauer
Vierzehn Monate.
Vierzehn Jahre.
 
Manche Autofahrer schwärmen vom Fahrtenbuch, das eine Fahrt hintennach erst zu einem Erlebnis macht, manche Autoren schwören auf das Tagebuch, das den Tag erst hintennach zu einem bemerkenswerten macht.
 
Walter Wippersberg hält sich lieber an das Leben, Filme machen und Romane schreiben, aber manchmal muß auch er pure Aufzeichnungen bewältigen, um den Kontakt zur Gegenwart nicht zu verlieren. Ein interessanter Kompromiß ist das Buch Vierzehn Monate, Vierzehn Jahre, darin sind wahllos konzentrierte Monate vorgestellt, die in ihrer Erstfassung in der geheimnisvollen Zeitschrift „99“ abgedruckt worden sind.
 
Als Leser und Zeitgenosse ist man von diesen Nadelstichen in den Ablauf der Zeit fasziniert, teilweise hat man das Geschehene ähnlich erlebt, teilweise erschließt sich die Vergangenheit über die Mühsal des Aufzeichnenden. Denn Walter Wippersberg umkreist diese ausgewählten Monate von drei Seiten. Einmal erzählt er subjektiv den Stoff, wie er sonst etwa geschönt und poliert in den Nachrichten vorkommt, zum anderen erzählt er von der Bearbeitung des Stoffs, also wie etwas zu einem Film oder Roman werden kann, und zum dritten erzählt er von den Auswirkungen des Stoffs auf das Individuum, das altert und mit Defekten auskommen muß.
 
So ist vielleicht der unrunde Gang des Autors, dem trotz mancher Therapie und ärztlicher Konsultation nicht beizukommen ist, eine Antwort auf die unrunde Zeit, die uns die unrunden Heroen der Alltagspolitik gegen unseren Willen tagtäglich implantieren.
 
Das Schüssel-Desaster mit brauner Soße zieht sich ebenso durch den politischen Geröllhaufen des Landes wie die Fassungslosigkeit des Kontinents darüber und die Sanktionen der EU. Aber die Witzbolde und Schmalspurdenker sind auch in der Literaturszene vorhanden.
 
„Peter Handke, die dumme Sau, vergleicht, was den Serben angetan wird, mit Auschwitz, und diese Frage stellt sich mir immer dringlicher: Ist er einfach vor der Zeit (gar so alt ist er ja noch nicht) gaga geworden – oder denkt er schon lange so und das Imbezile daran ist bloß bisher niemandem aufgefallen?“ (60)
 
Auch Robert Schindel löst Verwunderung aus, wenn er seine Figuren brav antifaschistische Parolen aufsagen läßt, man ihm selber aber nichts sagen kann, weil seine Eltern ja im KZ umgekommen sind und er daher ein Leben lang Immunität gegen alles genießt.
 
Wie kann man Stifters Nachsommer, in dem absolut nichts passiert, verfilmen, ohne daß man einfach einen Erzähler beim Vorlesen abfilmt? Wie kann man einer unbedarften Steuerprüferin erklären, daß Recherchen für die künstlerische Arbeit notwendig sind? Wie kann man in einer militanten Nichtrauchergesellschaft als Raucher überleben?
 
Manchmal gibt Walter Wippersberg vor seinen eigenen Fragestellungen w.o. auf, aber das Hirn ist schon in Stellung gebracht und irgendwann werden vielleicht auch diese Fragen beantwortet werden können.
 
Vierzehn Monate, vierzehn Jahre, scheinbar eine unspektakuläre Zeitangabe, geben ungeahnte Gedankenmassen frei und eine leichte Beruhigung: Auch in politisch schlaffen Zeiten mit zwielichtigen Akteuren gibt es jede Menge klarer Gedanken. Walter Wippersberg hat einige davon zusammengekratzt und tapfer gegen den Strom der Zeit aufgeschrieben
 
 
Walter Wippersberg: Vierzehn Monate. Vierzehn Jahre. Aufschreibungen.
© 2010 Otto Müller, Salzburg - 352 Seiten. EUR 28,-. ISBN 978-3-7013-1179-8.
 
Walter Wippersberg, geb.1945 in Steyr, lebt in Losenstein und Wien.
 
Weitere Informationen unter: www.omvs.at/
 


Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit der in Bozen erscheinenden Zeitschrift "kulturelemente"