Ein Landei auf Sinnsuche

„Parzival (Unterm hohen Himmel)“

von Daniel Diekhans
Ein Landei auf Sinnsuche
 
„Parzival (Unterm hohen Himmel)“
von Katrin Lange nach Wolfram von Eschenbach
Ein Stück für Kinder ab 8 Jahre
 

Inszenierung: Beate Rüter – Ausstattung: Laurentiu Tuturuga – Musik: Robert Boden - Fotos: Karola Brüggemann
Besetzung - Parzival: David Fischbach – Herzleide/ Sigune: Rita Reineke – Anfortas/ Gurnemanz: Udo Dülme – Gawan: Tim Neuhaus – Kundrie: Miriam Wunder – Trevrizent: Daniel Nosbüsch – Jeschute: Elisabeth Kratz – Orilus: Benedikt Palder – Condwiramurs: Marie Speckmann
 
 
Spielfreudig:
Das Wuppertaler Kinder- und Jugendtheater glänzt mit „Parzival“
 
Der junge Parzival lebt in einer Welt voller Unsicherheit und Gewalt – aber er weiß nichts davon.

David Fischbach - Rita Reineke - Foto © C. Brüggemann
Während Raubritter plündernd und brandschatzend durchs Land ziehen und dadurch Unzählige in Hunger und Elend treiben, haust er abseits dieses Chaos in einem abgelegenen Tal. Seine Mutter Herzleide zieht Rüben auf einem Acker, der die beiden mühsam ernährt. „Rüben, Rüben, Rüben!“ – Parzival hat das eintönige Landleben satt. Da tauchen drei Fremde im Tal auf. Sie erzählen vom aufregenden Ritterleben, vom zaubermächtigen Gral und von ihrem Herrn, dem Gralskönig Anfortas, der einen Nachfolger sucht, welcher alles im Lande wieder in Ordnung bringt. Danach ist für Parzival nichts mehr wie es war. Seine unbestimmte Sehnsucht hat endlich ein konkretes Ziel gefunden: Ritter will er werden und die Gralsburg finden. Er eilt den drei Rittern hinterher und stürzt sich kopfüber ins Abenteuer. In der Inszenierung des Wuppertaler Kinder- und Jugendtheaters nimmt dieses große Abenteuer nach anderthalb Stunden doch noch ein gutes Ende.
 
Die Bühne – eine ganze Welt
 
Die Autorin Katrin Lange bewies sicheren Theaterinstinkt, als sie aus dem übergroßen „Parzival“-Epos des Wolfram von Eschenbach ein kurzweiliges Stück destillierte, das 2008 den Deutschen Kindertheaterpreis gewann. Das Kinder- und Jugendtheater macht daraus eine wunderbar bunte Bühnenshow, die sowohl dem Humor als auch dem philosophischen Tiefgang der Vorlage gerecht wird.
Während David Fischbach in der Titelrolle auf der Suche nach einem Lebenssinn „durch die halbe Welt trabt“, stellen die Mitspieler eine ganze Welt auf die Bühne. Durch beliebig kombinierbare Bühnenelemente – eine Spezialität des Ausstatters Laurentiu Tuturuga – gelingen zum Teil rasendschnelle Szenenwechsel, während die acht Schauspieler, die sich um Hauptdarsteller Fischbach gruppieren, in immer neue Rollen schlüpfen. Sie verkörpern Grals- und Raubritter, Narren, Könige und Burgfräulein. Als Sprechchor kommentieren sie nicht nur die spannende Handlung, sondern greifen wenn nötig auch ein. Bei den spielerischen Kampfszenen betätigen sie sich als Geräuschemacher und stellen gar das hohe Gebirge dar, über das Parzival klettern muß, um aus dem engen Tal hinaus in die weite Welt zu gelangen.
 
Sinnsucher und Pfadfinderin
 

David Fischbach - Foto © Carola Brüggemann
David Fischbach – bekannt durch die Verfilmung des Kinderbuchklassikers „Krabat“ – gibt Parzival in der ersten Hälfte des Stücks als den sprichwörtlichen grünen Jungen. Kaum der mütterlichen Umklammerung entronnen, erscheint er als wild pubertierender Sinnsucher, der von seltsamen Traumvisionen heimgesucht wird, die er lange nicht zu deuten vermag. Überdies spielt Fischbach gekonnt die komischen Seiten seiner Figur aus, Parzivals Naivität und gedankenlosen Egoismus, über den der Zuschauer herzhaft lachen kann. Als es ihm schließlich nicht gelingt, den kranken Anfortas zu heilen, wird es ernst. Verzweiflung und Selbstmordgedanken übermannen ihn, und erst der Auftritt von Condwiramurs in allerletzter Minute rettet ihn. Marie Speckmann liefert neben Fischbach eine ebenbürtige Leistung ab. Ihre Condwiramurs ist eine tatkräftige und zugleich sensible Frau, die weiß, wo’s langgeht im Leben und die den Gestrauchelten zurück auf den rechten Weg bringt. In ihr erkennt Parzival eine verwandte Seele, die ihm die Augen öffnet für seine Schwächen, aber auch für seine Stärken.
 

Eine überzeugende Ensembleleistung
 
Auch die übrigen Mitspieler machen durch die Bank eine gute Figur. Tim Neuhaus, Miriam Wunder und Daniel Nosbüsch überzeugen als die drei Musketiere des Mittelalters („Einer für alle, alle für einen!“), die sich freilich selbst nicht immer an ihre hohen ritterlichen Ideale halten. Am Ende jedoch trägt das Rittertrio entscheidend zur Lösung des Gralsrätsels bei und schwört dem sinnlosen „Kloppen“ ab. Benedikt Palder als Orilus und Elisabeth Kratz als Jeschute sind ein herrlich zänkisches Paar, das sich auch dann noch in die Haare kriegt, nachdem ein geläuterter Parzival alle Mißverständnisse zwischen den beiden aus dem Wege geräumt hat.
Rita Reineke und Udo Dülme sind beide in einer Doppelrolle zu erleben. Reineke zeichnet ein anrührendes Porträt von Parzivals Mutter Herzleide. Verhärtet durch Flucht und Verlust versucht sie ihr einziges Kind vor allen Gefahren zu bewahren und erreicht damit doch nur das Gegenteil. Auch die Kriegerwitwe Sigune ist vom Leben gezeichnet. Ihr Lied aus alten Zeiten fügt dem Stück eine reizvolle Facette hinzu. Udo Dülme gestaltet Gurnemanz und Gralskönig Anfortas als komplementäre Figuren. Während Gurnemanz durch den Tod seiner drei Söhne ähnlich traumatisiert ist wie Herzleide und Sigune, ist er gleichzeitig ein Kauz und Angeber, der in einem komischen Ritual Parzival zum Ritter schlägt. Anfortas’ Leiden ist körperlicher Natur, und Dülme gibt sogar diesem Schmerzensmann eine komische Note.


David Fischbach - Benedikt Palder - Foto © Carola Brüggemann
So zeigt sich im Laufe der Handlung, daß Schmerz, Gewalt und Tod den ernsten Hintergrund bilden für das augenscheinlich so heitere Stück. Zwar geht es am Ende gut aus, doch der Schlußappell des Sprechchors hat eine deutliche Sprache: Wie eh und je sind Aggression und Gewalt heute und noch in ferner Zukunft beständige Probleme. Dies aufzuzeigen ist ein weiterer Verdienst dieser rundum gelungenen Inszenierung

 
Weitere Informationen unter: www.kinder-jugendtheater.de