Die Oper als Phantom oder die Stimme des Architekten

Norddeutsche Notizen

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt
Die Oper als Phantom
oder
die Stimme des Architekten
 
Norddeutsche Notizen
von Andreas Greve
 
Erstaunlicherweise sieht die Baustelle der Elbphilharmonie nach der Wahl genauso aus wie vor der Wahl. Architektur ist noch langsamer als Politik. Dafür oft genauso seelenlos und geistesverlassen. Und von beiden wünschte man sich manchmal, daß sie gar nicht stattfänden. Oder nur in Büchern. Denn Kunst nimmt der Wahrheit den Wirklichkeitsdruck – leider wird davon zu selten Gebrauch gemacht. Es gibt durchaus wahre Künstler unter den Architekten, oh, ja. Ich habe auch nichts gegen die beiden Basler Architekten Herzog de Meuron. oder gegen Neubauten. Überhaupt nicht. Aber für unser Stadtbild gilt: Die Entwürfe der letzten Jahre kommen eigentlich im Modell am besten. (Trauriges Beispiel für eine vertane Chance ist die niegelnagelneue Hafen-City. Über die wollte ich mich hier gar nicht auslassen - sondern mich lediglich zu einigen Behauptungen zu versteigen.) Wir Norddeutschen verstehen uns nämlich durchaus darauf, Äpfel mit Birnen zu vergleichen:
 
Mir erscheint die Abermillionen teure Elbphilharmonie von Herzog de Meuron nicht annähernd so sinnreich, wie die CD für 14.- Euro, auf der der Schweizer Baumeister Peter Zumthor mit leiser Stimme und großer Bedächtigkeit seine Gedanken und Überlegungen zu Räumen und Gebäuden erzählt. Er horcht im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal in die gestellte Aufgabe hinein. Und lehnte zweifelhafte Aufträge dann auch lieber ab. Zugleich Welt zugewandt und Welt entrückt. Zumthor fühlt sich dem Begriff Baukunst verpflichtet und neigt lieber und eher zur kargen Kartause, anders als seine eidgenössischen Kollegen aus Basel mit ihrer Ader für einfallsreiche und auffällige Imposanz (siehe Allianz-Arena).
Das gigantverglaste Pompösarium, der vieldiskutierte philharmonische Skandalbau in der Elbe, der vor ein paar Monaten die Maßstabsführung für die gesamte Hafensilhouette endgültig an sich riß, aber bislang noch nichts von all dem gehalten hat, was es versprach, taugt allemal für ein PR-Foto. Als solches ziert es den Umschlag eines Buches, das „Die große Verschwendung“ heißt und für knapp  20,- Euro völlig legal zu haben ist. Es handelt angeblich nicht von der Hamburger Elbphilharmonie, sondern von einem anderen Prestige-Projekt in der kleineren Nachbar-Hanse-Stadt Bremen, wo eine „Maritime Oper“ a la Sydney die Augen der Welt auf sich ziehen und als Leuchtturm der Kultur und musikalischer Mega-Magnet, Millionen anziehen – und nicht etwa  nur verschlingen – soll. Hunderttausende wurden allein für Gutachten ausgegeben, die so Sensationelles zu Tage brachten wie: daß „Bremen eine Stadt am Fluß, eine Stadt am Meer“ sei.
Wahr ist, daß der Autor des Romans, Wolfgang Schömel, in Bremen wohnt, aber seit Jahr und Tag in der Hamburger Kulturbehörde als Literaturreferent tätig ist. Bei der Lesung im Literaturhaus saß – so Sigrid Löffler, die eigens gekommen war, das neue Werk des Schwerenöters Schömel vorzustellen - „die halbe Behörde“ im Saal. Kaum einer konnte wohl die verbale Banalisierung und Degradierung der Kultur zum unternehmensberatischeren Steppingstone des Stadtmarketing besser mit verfolgen als Schömel. „Man konnte quasi die Uhr danach stellen“ wie ein frisch in die Welt gesetztes Unwort wie „Kreativwirtschaft“, „Entertainment-Cluster“ oder auch der allgegenwärtige „Leuchtturm“, den es galt „in Augenhöhe“ zu bringen – sich epidemisch über die Gänge und durch alle Gremien verbreitete. Vermutlich hat ihm das nicht nur Schmerzen als denkender Mensch bereitet, sondern auch diebische Freude als Zyniker und Sammler von Persönlichkeitsprofilen der Kategorien Platzhirsch, Profilneurotiker und Proporzpolitiker. Das sind natürlich nur Vermutungen. Genauso wie die, daß die resolute Literaturkritikerin Löffler dem liederlichen Schreiber nach der Lesung für den unverblümtem und ungezügelten Machismo und die menschenverachtende Genauigkeit bei der Beschreibung körperlichen Zustandsmeldungen noch gehörig den Marsch geblasen hat, nachdem das all zu häufig kichernde Publikum in der Rolle des PC-Warts völlig versagt hatte.
Mein Vorwurf an den Autor wäre ein anderer: zu wenig Architektur. Wer so viel weiß und so scharfzüngig schreiben kann, sollte sein Können der satirischen Behandlung eines der großen Probleme des modernen Menschen – dem umbauten Raum – zur Verfügung stellen und nicht stundenlang zwischen praller Eichel und offenen Schamlippen herumvagabundieren und sich dabei kopfgeburtsstark um den letzten Rest Lebensgeist sinnieren. Das nenne ich Verschwendung.
 
Bezeichnenderweise hat die Kunst- und Architektur-Buchhandlung „Sautter & Lackmann“, nicht weit vom Hafen auf der Fleetinsel, „Die große Verschwendung“ nicht ausliegen. Dort, wo in den Regalen jeder japanische oder amerikanische Gestalter von Rang präsent ist, wo es zu jedem Maler das Buch und zu jedem Designer von Welt das Werk in gedruckter Form gibt, sucht man Schömels Erotoman-Roman vergeblich. Dafür liegt hier die CD zu Zumthor neben der zu Daniel Libeskind und Zaha Hadid aus der gleichen Reihe. Und an vorrätigen Bildbänden und Büchern von und zu Peter Zumthor zähle ich alleine fünf – zwei weitere werden erwartet. „Architektur denken“ heißt eines von ihnen. Keine Bibliothek kann besser bestückt sein. Viele Architekten kaufen hier (vermutlich ist Bauen deshalb so kostspielig: wie sollte man sonst je das Geld für dieses teure Vergnügen wieder reinbekommen). Aber es kommen natürlich auch Fotografen, Maler, Museumsleute, Werber. Und Menschen wie ich, die sich freuen, daß es an einem solchen Ort der Folianten und Formate auch etwas für die Faust gibt: Etwa ganz Hamburg handtellergroß auf 240 Seiten für 5.- Euro aus dem Jovis Verlag „Architektur der sich wandelnden Stadt“. S. 82/83: Elbphilharmonie! So in der Hand betrachtet wirkt alles sehr vielversprechend. Letztlich kommt es mir auf eine Oper mehr oder weniger nicht an, aber ich könnte mir Hamburg o h n e Sautter & Lackmann, ohne dieses fantastische, vergeistigte und doch völlig unprätentiöse - früher durfte sich sogar noch die Haus-Katze auf den wertvollen Büchern entspannt ablegen - Eldorado, das gerade sein 40 jähriges Bestehen gefeiert hat, nicht vorstellen. Florian Sautter führt diese Kultur-Institution in zweiter Generation weiter. Zum Glück.
Natürlich habe ich als Hamburger Schömels Buch von vorne bis hinten gelesen. Klar. Bremen ist wirklich nur ein Pseudonym - die Oper als Phantom, der Schmerz als ein gemeinsamer. Aber genauso natürlich würde ich als Hamburger Autor - und gar als Mitglied im Writers Room - nie etwas gegen das Werk unseres Cheflobbyisten und Literaturreferenten sagen. Bewahre. So etwas mag sich eine Sigrid Löffler  herausnehmen, die im Literaturhaus mit herzlicher Direktheit klarmachte, daß - bei aller gemeinsamer Sexualfixiertheit - die literarischen Schuhe von Philip Roth dann doch etliche Nummern größer wären. Das war hart.
 
Ich würde an dieser Stelle auf etwas völlig  anderes zeigen und zwar auf das Buch „Rødby – Puttgarden“ von Helle Helle. Auch weil es für mich den Bogen zur „Brücke“ schlägt. Die dänische Autorin hat ihren Roman dort angesiedelt, wo das kleine Leben kleiner Leute in kleinen Jobs in Kiosk oder Cafeteria auf dem schaukelnden Soziotop Fähre in einigen Jahren durch eine gigantische Brücke (sic!) ersatzlos gestrichen sein wird. Ich zeige nicht ohne Grund auf dieses klare und schlichte Stück  Alltagserzählung, weil das Buch nämlich vor mir liegt und ich es eigentlich schon lange gelesen haben wollte. Es soll sehr gut sein. Aus dem Dörlemann Verlag, Zürich.
Aber als gezielten Hinweis an die neue Hamburger Kulturpolitik unter Olav Scholz nur dies: Wenn der „Leuchtturm“ als Metapher nun verglüht sein sollte, wäre die bedeutungsschwerere „Brücke“ vielleicht ein, äh, ein, sagen wir…. äh, ein – ach, weiß der Schömel…
 
Ihr
Andreas Greve


Redaktion: Frank Becker