Ein Zeugnis mehrerer deutscher Untiefen

Hans Fallada - "Jeder stirbt für sich allein"

von Michael Zeller
Ein Zeugnis mehrerer deutscher Untiefen

Man müßte schon lange zurückdenken, wann zuletzt ein Roman deutscher Sprache zu einem weltweiten literarischen Ereignis geworden ist, wie es jetzt mit Hans Falladas letztem Werk, „Jeder stirbt für sich allein“, geschehen ist. Der Berliner Aufbau-Verlag, der 2010 Falladas Rechte übernommen hat, spricht von 150.000 Exemplaren, die in den USA über den Ladentisch gegangen sind, seit 2009. In Großbritannien, bei Penguin, sind es gar mehr als das Doppelte (unter dem neuen Titel „Alone in Berlin“). Auch in Israel und in zahlreichen europäischen Ländern hat es Falladas Roman auf die vorderen Plätze der Verkaufslisten gebracht. Und die Presse jubelt: „Ein literarisches Großereignis“, urteilte etwa The New York Times. Auch die Filmrechte sind längst unter der Haube.
 
Hans Fallada hat sich kurz vor seinem Tod den Roman „Jeder stirbt für sich allein“, in ganzen vierundzwanzig Tagen abgerungen, und das nicht ganz freiwillig. Er erzählt darin die authentische Geschichte des Berliner Schreiners Otto Quangel und seiner Frau Anna während des Dritten Reiches. Zwischen 1940 und 1942 haben die beiden zu Hause Postkarten mit Aufrufen gegen Hitler geschrieben und in den Treppenhäusern der Hauptstadt abgelegt. 1943 kommt ihnen die Geheime Staatspolizei auf die Spur. Sie werden vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Aus diesem Stoff entwickelt Fallada auf bald siebenhundert Seiten eine breit angelegte Geschichte, die im Milieu der „Kleinen Leute“ spielt, dort, wo sich der Erzähler Fallada am wohlsten und sichersten fühlte. Heute, vierundsechzig Jahre nach dem ersten Erscheinen (der Autor lag da bereits im Grab), liest sich das Buch, hinreißend mit dem Falladaschen Schmiß runtererzählt, wie ein Dokument dieser schlimmen Jahre.
 
Es ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Die Akte über die beiden Widerstandskämpfer waren dem Autor von Johannes R. Becher zugesteckt worden, nachmals Kultusminister der DDR und seinerzeit Leiter des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“, unter sowjetrussischem Schirm. Ein paar Tage nach Abgabe des fürstlich dotierten Manuskripts war Fallada ins Krankenhaus eingeliefert worden und konnte die Korrekturen nicht mehr selbst besorgen. Das übernahm der Lektor, und auf ihn gehen wohl auch die politischen Eingriffe seiner Auftraggeber in den Text zurück.
Jetzt hat der Aufbau Verlag den Roman als Original-Manuskript veröffentlicht, so wie es Fallada aus der Hand gegeben hatte, samt seinen sachlichen Irrtümern, sprachlichen Unebenheiten, politisch unerwünschten Wertungen. So ist aus Hans Falladas literarischem Abgesang auch ein Zeugnis mehrerer deutscher Untiefen geworden, die dieses Land im zwanzigsten Jahrhundert der Welt vorgeführt hat. Und weiterhin vorführt, bis in unsere Tage hinein. In der Besprechung der „Süddeutschen Zeitung“ lese ich zu den Eingriffen in Falladas Manuskript: „Ein Fall poltischer Zensur ist das nicht. Die Überarbeitung erfolgte ‚im Sinn kulturpolitischer Korrektheit‘. Als ob das Hintrimmen auf „politische Korrektheit“ nicht die perfideste aller Zensuren sei.


Redaktion: Frank Becker
Beispielbild


Hans Fallada
Jeder stirbt für sich allein
 
Roman
 
© 2011 Aufbau Verlag, Berlin,
704 S., Leinen m. Schutzumschlag
19,95 €
 
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