24 Karat

Das Anatolian Jazz Orchestra schlägt goldene Brücken

von Frank Becker

Foto © Steen Bech-Andersen

24 Karat
 
Das Anatolian Jazz Orchestra schlägt goldene Brücken
 
Aus der Schwärze des abgedunkelten Bühnenraums erhebt sich die klagende Stimme einer Mey, der anatolischen Version der armenischen Doppelblattflöte, nur begleitet vom dumpfen Rhythmus einer Handtrommel. Özgür Ersoy und Peer Triebler (dr) eröffnen in „Selam Olsun“ mit anatolischen Folklore-Elementen ein rares Jazz-Konzert, wie es in solcher Qualität im Remscheid schon lange nicht zu hören war. Drei Posaunen (Jörg Vollerthun, Rambald Bellmann, Daniel Busch), Baßposaune (Otwin Zipp), Saxophon (Jörg Miegel), Flügelhorn/Trompete (Matthias Harig), Kontrabaß (Gerhard Kubach) und Klavier (Rolf Zielke) treten mit unerhört gradlinigem Big Band-Sound, satten Bläsersätzen, scharfen Riffs hinzu. Die Sängerin Sibel Egilmez wird folgen und Özgür Ersoy wird auch an der viersaitigen Saz musikalische Meisterschaft zeigen.
 
Bigband von internationalem Format

Was sich dann vor dem begeisterten Publikum entwickelt, ist einer der brillantesten Musik-Abende die ich in den letzten Jahren hören durfte oder um mit „Casablanca“ zu sprechen, „der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“. Das 2005 von Remzi Emek in Berlin gegründete Anatolian Jazz Orchestra eroberte mit seinem Konzert im Teo Otto Theater im Sturm die Herzen der (wenigen) Musikfreunde, die am Samstagabend den Weg in den Konzertsaal fanden. Gerade mal 56 Menschen folgten begeistert dem Auftritt der Spitzenformation. Lieder der osttürkischen/anatolischen Folklore und veritabler Basie-/Edelhagen-Sound verschmelzen mit ansteckendem Drumbeat und delikaten Saz-Passagen zu Bigband-Jazz der internationalen Spitzenklasse. Das liegt zum einen an den grandiosen Arrangements, zum anderen daran, daß wir es hier mit einer Formation aus ersten Kräften zu tun haben. Im Metier spricht man in solchen Fällen von einer All-Star-Band. Die gibt mit Verve und spürbarer Spielfreude alles – und das ist wahrlich viel.   
 
Üsküdara

Der 1953 von Eartha Kitt weltweit populär gemachte Song „Üsküdara“ wird mit Daniel Busch an der Posaune zu einem Mainstream-Manifest, „Efem“ schlägt mit gestopfter Trompete eine Brücke über den Bosporus und zärtlich traumgleich verwöhnt die sanfte Ballade „Sarim gelin“ im Trio Stimme/Tenorsaxophon/Klavier mit der ruhigen Variante.
Das Miteinander von Vorderem Orient und Okzident funktioniert vorzüglich auch in „Suzan Suzi“ mit packenden Bläser-Riffs, zitatenreichem Spiel des Saxophons - nebenbei: eine wirklich heiße Kanne! - oder dem perlenden, schnellen, Jazz-Seele atmenden Spiel des Klaviers (Rolf Zielke) ebenso wie in dem fröhlich swingenden „Halkali Seker“ mit Ortwin Zipp an der Baßposaune, der auch die jazzharmonische Perle „Junus“ eröffnet und nach einem brillanten Solo Mathias Harigs am Flügelhorn beschließt.
„Gelin alma havasy“ bedeutet: Die Braut kommt ins Dorf. Das s(ch)wingt in der Vorfreude auf das Hochzeitsfest, aber auch ein klein wenig Wehmut klingt mit. Soli der Saz von Özgür Ersoy und des gestrichenen Kontrabasses von Gerhard Kubach tragen dieses wundervolle Stück. In „Mehriban“, das wie „Baeindaki tellere“ von Posaunen-Soli Daniel Buschs gekrönt wurde, konnte sich auch Schlagzeuger Peer Triebler, der feinfühlig und unauffällig präsent dem Dutzend + 1 Nummern das Rückgrat gab, mit einem dreiminütigen Solo ausgiebig vorstellen.
 
Das ganze Konzert ist mit seinen mehr als zwei Stunden und harmonischen Meisterstücken von A wie Anfang bis Z wie Zugabe („Batum“) ein einziges Vergnügen, Hochgenuß auf der ganzen Linie. Mein ganzes Mitgefühl gilt dem Publikum, das am Samstag nicht da war – es hat sich um ein grandioses Erlebnis betrogen.


Foto © Steen Bech-Andersen
 
Die hervorragende CD „Zeytin Ağaci“ (Olivenbaum) gibt mit 10 Stücken einen Eindruck – sie kann über die Heimseite des Orchesters bezogen werden: www.anatolianjazz-orchestra.de .