Michel Kayoya beim Fahrradflicken

Erinnerungen an einen afrikanischen Autor

von Hermann Schulz
Hermann Schulz - Foto © Frank Becker

Michel Kayoya beim Fahrradflicken

Das Buch des ersten afrikanischen Autors kam über seltsame Umwege Ende der 60er Jahre nach Wuppertal in den Peter Hammer Verlag. Ein deutscher reisender Kaufmann erwarb in der Buchhandlung der ‚Weißen Väter‘ in Bujumbura ein Exemplar des Buches „Auf den Spuren meines Vaters“ (in französisch) von einem Michel Kayoya. Er las es im Hotel und war so angetan von diesem Text, daß er sein Exemplar an Bundeskanzler Willy Brandt schickte, mit der Empfehlung, dafür doch in Deutschland einen Verlag zu finden. Den Namen dieses aufmerksamen Reisenden haben wir nie erfahren.
 
Willy Brandt gab das Exemplar an seinen Minister für Entwicklungshilfe, Erhardt Eppler. Der wiederum drückte es seinem Berater Klaus Lefringhausen (unvergeßlicher Freund!) aus Mettmann in die Hand. So geriet es in den Verlag.
 
Ob man diese poetische Auseinandersetzung eines Afrikaners mit Glauben und Tradition seiner Väter und seine Klage über die Folgen der Kolonialzeit auch würde verkaufen können, diese Frage stellten wir uns nicht. Wer hätte sie auch beantworten können? Afrikanische Literatur kam auf dem deutschen Buchmarkt damals nicht vor.
 
1971 erschien das Buch. Die damals entstehenden Dritte-Welt-Läden nahmen es dankbar auf. Sie waren, daran sei hier erinnert, überhaupt die einzigen, die sich für die Literaturen der Dritten Welt engagierten. Ich erinnere mich sehr lebhaft an zwei typische Begebenheiten: In der linken Buchhandlung ‚Ca irá‘ in Frankfurt, wo ich einen Vertreterbesuch machte, zerriß der ‚revolutionäre‘ Buchhändler ein Exemplar vor meinen Augen mit dem Kommentar: „Dieser Autor ist ja ein total angepaßter Neger! So etwas brauchen wir nicht!“ Auch von christlicher Seite wurde das Buch des katholischen Priesters nicht nur freundlich aufgenommen: In einer evangelischen Buchhandlung in Karlsruhe beschied mich das Buchhändler-Ehepaar, solche Bücher wären der Reichsgottesarbeit nicht förderlich. – Man hatte also schon damals seine Last mit den Fundamentalisten jeglicher Färbung.
 
Ein Jahr später kam ich von einer ausgedehnten Lateinamerikareise zurück. Auf meinem Schreibtisch lag die Nachricht, Michel Kayoya sei tot. Bei den Unruhen in Burundi, als die herrschenden Tutsi über 5.000 Intellektuelle der Hutu umbrachten, kam auch Kayoya ums Leben. Mir erzählte später ein Priester in der Zentrale der Weißen Väter in Köln, Michel sei dabei gewesen, einem Kind sein Fahrrad zu flicken, da sei die Tutsi-Miliz aufgetaucht und habe ihn mitgenommen, um ihn zu erschießen.
 
Kayoya (1934-1972) stammte aus dem kleinen Dorf Kibumbu in den Bergen Burundis, sein Vater war Bauer. Unvergeßlich, wie liebevoll der Priester das Leben auf dem Land beschrieben hatte. - Ich besuchte später die Weißen Väter in Bujumbura, wo sie neben einer Buchhandlung eine kleine Druckerei unterhielten. Der Druckermeister mit Namen Josef Hirt kam aus Bayern, ein lieber und freundlicher Mensch, der mit Kayoya befreundet war. Auf dem Hof der Druckerei saßen an die dreißig Kinder, die in Handarbeit Bücher einbanden. Leider war keine Gelegenheit, die Eltern Kayoyas zu besuchen, die Straße ins Gebirge war durch den Regen unpassierbar. Die beiden Bücher des Autors („Auf den Spuren meines Vaters“, „Sprich deine Sprache, Afrika!“), die wir in Wuppertal betreuten, erreichten je drei Auflagen; einige Texte fanden Eingang in Schulbücher. Das Tanzanian Publishing House veröffentlichte Jahre später auf unsere Anregung hin eine Ausgabe in Kisuahili, auch in den USA und anderen Sprachen erschienen Editionen.
 
Ich hatte Kayoya als den ersten schwarzen Autor des Verlages nie vergessen; jetzt erinnerte ich mich, daß sein Tod 40 Jahre her ist. Daß sein Beispiel und sein Werk Spuren hinterlassen hat, erfuhr ich erst durch das Internet: An Universitäten in aller Welt gelten seine Texte als Beispiele zur Kolonialgeschichte „Aus der Sicht der Kolonisierten“; sogar eine ‚Stiftung Michel Kayoya‘ arbeitet in mehreren Ländern. Seine Bücher in deutsch bekommt man nur noch im Internet antiquarisch. Aber das sagt nur wenig über die geheime Wirksamkeit von Büchern. Und ihre geheimen Wege aus verlassenen Winkeln Afrikas zu Bundeskanzlern, klugen Beratern wie Klaus Lefringhausen, Verlegern und Lesern.
 
 
Hermann Schulz leitete bis 2001 den Peter Hammer Verlag und lebt heute als Autor in Wuppertal. 2009 erhielt er für sein Bilderbuch „Die schlaue Mama Sambona“ (nominiert für den deutschen Jugendliteratur Preis) den schwedischen Peter Pan Preis. Anfang 2010 erschien im Carlsen-Verlag der Fußball-Roman für Kinder „Mandela und Nelson“ (nominiert für den Preis des DFB ‚Fußballbuch des Jahres‘. 2011 erscheint im Nordpark-Verlag eine Neuausgabe des Afrika-Romans „Zurück nach Kilimatinde“.