Danke Bäcker Neuhaus!

Rhein und wahr - Die Kolumne

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Gott - Herten - Streuselkuchen

4. März
: Es war eine schreckliche Woche gewesen. Die ganze Zeit hatte ich den Eindruck, daß ich keinen Streuselkuchen mehr essen kann. Der Zauber war dahin. Das Geschmackserlebnis erschien mir plötzlich so vorhersehbar. Ich hatte Angst, es könnte mich nicht mehr überraschen. Ich befürchtete, daß ich mir den Streuselkuchen leid gegessen haben könnte. Selber schuld. Hatte ich es wieder übertrieben mit meinen Leidenschaften. Was esse ich auch immer, wenn es mir schlecht geht, einen Streuselkuchen? Ich wurde unleidlich. Ich haderte mit meinem grausamen Gott, der die wenigen Freuden des Alters mit einem Streuselkuchenüberdruß krönen wollte. Heute war ich dann in Herten gewesen und ein Mann erzählte mir, daß der Bäcker Neuhaus einen ausgezeichneten Kuchen anbieten würde. Ich kenne das häufige Überschätzen von lokalen Bäckereiketten. Ich neige selbst dazu. Man findet oft nichts, worauf man in Herten stolz sein könnte. Ich ging also nun zu diesem Bäcker und sah schon die üblichen Verdächtigen in der Auslage herumhängen. Da waren das Plunderteilchen und die Rosinenschnecken,  die Apfeltaschen und das Schweineohr. Sicher, nicht jeder Bäcker kann die üblichen Backkreationen außen vor lassen. Ich sah aber, daß Bäcker Neuhaus diese Teilchen anders dekorierte. Mir gefiel auch der Umgang mit Form und Füllung. Da riskierte jemand etwas, ohne die Erwartungen seiner Kundschaft zu überfordern. Ich kaufte mir also einen Streuselkuchen, obwohl ich, wie gesagt, seit langem nicht mehr gut auf ihn zu sprechen war. Zum Glück sollte mich Bäcker Neuhaus eines Besseren belehren. Als ich wieder in Paderborn war und diesen Streuselkuchen probierte, konnte ich nicht anders als „Mhmm“ zu stöhnen. Da war er wieder. Dieser unvergleichliche Streuselkuchengeschmack. „Mhmm“. Da war wieder Gott, und ich war zufrieden mit dem Leben und seinen täglichen Überraschungen. Danke Bäcker Neuhaus.


© Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2011