Schwierige Integration

Wuppertaler Bühnen gliedern Grillparzers "Goldenes Vlies" ein

von Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Schwierige Integration
 

Wuppertaler Bühnen gliedern
Grillparzers "Goldenes Vlies" ein

 
Von Franz Grillparzer und Kai Schubert
Koproduktionmit dem Elele Tiyatrosu
(Theater Hand in Hand) Wuppertal
 
Inszenierung: Jenke Nordalm – Bühne und Kostüme: Birgit Stoessel – Chorleitung: Peter Wallgram – Toncollage: Tanja Hagedorn – Dramaturgie: Oliver Held.
Besetzung: I. KOLCHIS: Aietes / Absyrtos / Kolcher: Gökhan Duruduygu, Seval Güngör, Veysel Karadon, Nilüfer Karadon-Özkandemir, Gül Koral, Esra Özcan, Gülcin Tuncer, AIi Ünal – Phryxos / Griechen: Holger Kraft, Martin Molitor, Juliane Pempelfort, Marco Wohlwend – Medea: Maresa Lühle – Jason: Holger Kradt – Erzähler: Marco Wohlwend
II. KORINTH: Medea: Maresa Lühle – Jason: Holger Kraft – Kreon: Martin Molitor – Kreusa: Juliane Pempelfort – Erzähler / Herord: Marco Wohlwend – Gora: Gökhan Duruduygu, Seval Güngör, Veysel Karadon, Nilüfer Karadon-Özkandemir, Gül Koral, Esra Özcan, Gülcin Tuncer, AIi Ünal – Kinder: Efekan Kizilkaya / Yalcin Mehni / Timur Yuval Reinhardt / Yilmaz Seyfi.



Integration oder Zwangsvereinnahmung?


Integration oder Zwangsvereinnahmung? Die Versuchung ist groß, diese Frage auch an die Wuppertaler Inszenierung von Franz Grillparzers „Das goldene Vlies“ zu stellen, genauer: an ihren Umgang mit der Vorlage. Paßt die Trilogie um die antiken Figuren Medea und Jason wirklich zum Thema Zuwanderung, oder verliert sie unter der Regie von Jenke Nordalm ihre, nun ja, Identität?
 
Die Wuppertaler Bühnen haben sich nicht damit begnügt, das 1821 uraufgeführte Stück behutsam der Migrationsproblematik anzunähern, die schon in der vergangenen Theatersaison ein Schwerpunkt des Spielplans war. Vielmehr wurde Kai Schubert, bereits Autor der Zuwanderungsgeschichte „Eleni“, beauftragt, zwei der drei Vlies-Dramen Grillparzers komplett neu zu schreiben. Das Grundgerüst bleibt: Jason, Führer der Argonauten, soll das geheiligte Goldene Vlies zurückerobern, das der Kolcherkönig Aietes geraubt hat, und trifft dabei auf dessen Tochter Medea. Diese verliebt sich in ihn und verhilft ihm schließlich zu dem Kleinod. Von ihrer Familie verstoßen, flüchtet Medea mit Jason nach Korinth. Doch das dortige Volk akzeptiert die Fremde nicht, und schließlich wird Jason ihr untreu – am Ende ermordet die bitter enttäuschte Medea die Nebenbuhlerin und ihre eigenen Kinder.
 
Nicht-Verstehen gewollt

In Schuberts Fassung nun geht es, bei Grillparzer nur ein Aspekt von mehreren, ganz um Fremdheit: Zu Beginn der Aufführung treten acht Personen auf (engagiert und fast durchgängig im Einsatz: Darsteller der Laientruppe Elele Tiyatrosu), die sich zur Irritation des Publikums zunächst auf Türkisch unterhalten – als Obertitel liest man nur den Schauplatz: Kolchis. Sofort fühlen sich die nichttürkischen Zuschauer in die Rolle der Nicht-Verstehenden versetzt, der Fremden. Als dann die Griechen mit dem Vlies eintreffen, reden die einheimischen Kolcher voll Argwohn über die ungebetenen Gäste („Treibt sie Dankbarkeit? Habgier? Oder ganz einfach Lust auf ein Abenteuer?“) – und schlagen damit den Bogen zur späteren Handlung in Korinth, wo umgekehrt die griechischen Gastgeber sich nicht weniger arrogant über die Flüchtlinge aus Kolchis äußern werden („Wollen sie ein Traumland ohne Gegenleistung?“).


Ensemble - Foto © Uwe Stratmann
Zur Neufassung im Zeichen des Fremden gehört nun allerdings auch, daß in den beiden Teilen vor der Pause die Leidenschaftlichkeit, wie Grillparzer sie ausführlich betrieben hatte, weitgehend wegfällt. Ursprünglich war Medea hin- und hergerissen zwischen Haß auf den frechen Jason, der das geraubte Vlies von ihrem Vater zurückerobern will und ihr bei der Gelegenheit einen Kuß abnötigt, und Liebe zu dem Draufgänger. Für diese inneren Kämpfe ist bei Schubert kein Platz. An ihre Stelle tritt der (inzwischen mit angezeigter Übersetzung) mal türkisch, mal deutsch sprechende Chor, der der Handlung Schwung, ja Leichtigkeit verleiht; Aietes befiehlt: „Lullt sie ein!“ – schon bezirzen Tänzerinnen die Hellenen; und Medea (hier harmlos: Maresa Lühle) ist einfach „verrückt nach Jason“. Das Problem ist, daß die hier zurückgefahrene Dramatik schließlich im dritten Teil, der überwiegend Grillparzers Text das Wort überläßt, mit voller Wucht zum Ausbruch kommt.  
 
Seitenhieb gegen Sarrazin

Maresa Lühle zeigt jetzt ergreifend fassungslos, wie Medea im fernen Korinth schrittweise desillusioniert wird und schließlich sogar ihre Kinder sich von ihr abwenden. Wie schwer Jasons (zwischen gutwillig und brutal: Holger Kraft) Verrat an der Verstoßenen ist, geht aber unter, weil die neue Textversion sich für Medeas Ringen mit sich im Vorfeld ja nicht interessiert. Die eingefügte Rede König Kreons mit ihrer überdeutlichen Sarrazin-Rhetorik (Martin Molitor als einnehmender Überzeugungstäter: „Ich spreche das ganz offen aus“) ist arg lang geraten und macht es leicht, sie plump zu finden. Und Medeas Selbstentblößung als angepaßtes Sexpüppchen führt zwar in großer Klarheit vor, daß bemühte Integration auch etwas sehr Demütigendes sein kann („Ich mache mich zur Hure, nur um wie ihr zu sein – aber ihr sagt immer: Mach‘ mehr, Medea!“). Aber das genügt einfach nicht, um den emotionalen Bruch zwischen der heiteren neuen und der spannungsreichen originalen Stückhälfte zu kitten.


Maresa Lühle - Foto © Uwe Stratmann
 
Heikel

Heute ist es üblich und richtig, daß Theater in Dramentexte eingreift und etwas Neues aus ihnen macht. Aber ein wenig ist es mit Stücken eben wie mit Migranten: Es ist heikel, wenn sie ihren Eigenwert aufgeben sollen.

Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de