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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko
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Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko


Leben in Freiheit ist zugleich Leben in Eingrenzungen. Ich habe die Landschaft eingeteilt in das Kornfeld, das Rübenfeld, die Wiese und den Wald. Den Waldrand sehe ich nur, wenn ich die Böschung des Grabens hinaufklettere. Nie gehe ich den ausgefahrenen Weg in den Wald, immer nur zwischen dem Kleefeld und dem Weizenfeld. Oder zwischen Gerste und Kukuruz.
Ich rieche hinter allem was ich zertrete, das Gras, die Pflanzen, die Erde. Manchmal lege ich mich auf den Rücken, auf die schmale Grenze zwischen den schwankenden Halmen und sehe nichts als ein Stück Himmel, sehe wie die Wolken dahintreiben, ihre Formen ständig verlieren.
       Unten im Graben spürt man den Wind nicht. Es ist, als würde er dort schlafen. Erst wenn ich auf der Höhe des Hohlwegs bin, der den Hügel vor dem Wald durchschneidet, lehne ich meinen Körper gegen den Wind. Es ist eine endlose Zärtlichkeit.
       Von der Höhe sehe ich unten das Dorf, unser Haus, daneben den Stall, dahinter das Bienenhaus. Es ist fast Mittagszeit und ich sehe meine Mutter mit einem Kübel über den Hof gehen. Ich höre das aufgeregte Quietschen der Schweine. Sie riechen den mit warmen Wasser angerührten Gerstenschrot, die Erdäpfel, gekocht und zerkleinert und die wenigen Brotreste, die wir verschmäht haben. Herr gib uns unser tägliches Brot! Jeden Sonntag bete ich das Vaterunser. Wir sind keine Bauern. Wir haben das kleine Haus zusammen mit dem Acker gepachtet. So kommen wir mit dem Vieh und dem was aus dem Acker kommt gut durch die schlechte Nachkriegszeit, sagt mein Vater.
       Im Frühjahr und Sommer, wenn die Dämmerung hereinbricht, spritzen die Bauern Wasser auf das kleine Stück der Dorfstraße. Dann rieche ich den Staub, der sich mit dem Lindenblütenduft vermischt, oder mit dem Duft der Wicken, die sich an den Zaunlatten der Gärten festhalten. Manchmal denke ich, die Gerüche sind alle zusammen in den Hohlweg gezogen, die aus dem Wald von oben und die aus dem Dorf von unten. Der Schneegeruch, oder der des Tauwetters, wenn der Frühling beginnt und wir endlich die dicken Mäntel und Wollschals weglegen. Die Veilchendüfte, die dunkelviolett und schwer ums Haus schleichen, die der Schlüsselblumen an den Quellen, die des Grases und der Apfelblüten, die der zitternden Sommerluft mit dem abendlichen Mückentanz, die der Grasbündel und des Heus. Die Gerüche der platzenden Haut der Walnüsse im Herbst. Die Gerüche der toten Blätter und des Nebels.
       Ich gehe nicht gern durch den Hohlweg. An den Böschungen zu beiden Seiten wuchern die Haselstauden und das Dornengestrüpp der Hagebutten. Aber man muß durch, und weiter oben ist es dunkel und die Luft schwer. Es ist so, als hätte der Berg hier immer nur ausgeatmet.



© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2011