„Von Kunst zu Leben“

Eine Ausstellung in Berlin über die Rolle der Ungarn am Bauhaus

von Rainer K. Wick
Von Kunst zu Leben“

Eine Ausstellung in Berlin
über die Rolle der Ungarn
am Bauhaus
 

Von Pécs nach Berlin
 
Im Jahr 2010 war die sympathische südungarische Stadt Pécs mit ihrem über Jahrhunderte gewachsenen Stadtbild Kulturhauptstadt Europas. Zu den zahlreichen kulturellen Aktivitäten, die aus diesem Anlaß stattfanden, gehörte im Janus Pannonius Museum auch eine Ausstellung mit dem zunächst etwas rätselhaft erscheinenden Titel „Von Kunst zu Leben“. Eingeweihten war natürlich sofort klar, daß damit der Titel eines von dem ungarischen Universalkünstler László Moholy-Nagy geplanten Buches aus der Versenkung hervorgezaubert wurde, das in der Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der Reihe der „Bauhausbücher“ geplant war, aber nie erschienen ist. Mit dem Untertitel „Die Ungarn am Bauhaus“ wurde auf eine Facette der Bauhaus-Historie aufmerksam gemacht, die bisher kaum bekannt war und lediglich partiell aufgearbeitet wurde.

Pécs - Foto © Rainer K. Wick
Wer die Ausstellung in Pécs verpaßt hat, hat nun noch bis zum 21. Februar 2011 Gelegenheit, das Versäumte im Berliner Bauhaus-Archiv nachzuholen, wo derzeit mehrere hundert Arbeiten von mehr als zwanzig Ungarn, die am Bauhaus gelehrt oder studiert haben, gezeigt werden. Nach dem „krummen“ neunzigjährigen Bauhaus-Jubiläum im Jahr 2009 mit großen Ausstellungen in Weimar und Berlin und einer Flut neuer Veröffentlichungen zu dieser bedeutendsten Reformkunstschule der Zwischenkriegszeit hätte man annehmen können, das Thema sei vorläufig erledigt. Daß dies nicht der Fall ist, demonstriert eindrucksvoll die aktuelle Schau im Berliner Bauhaus-Archiv, jenem einzigartigen Forschungs- und Ausstellungsinstitut, das sich seit gut fünfzig Jahren der historischen Aufarbeitung und Darstellung des Bauhauses widmet.
 
Eine neue Perspektive
 
Die Präsenz einiger Ungarn am Bauhaus, insbesondere in Gestalt von Moholy-Nagy, der von 1923 bis 1928 an dieser Schule lehrte, aber auch von Marcel Breuer, der hier studierte, ab 1925 die Möbelwerkstatt leitete und den berühmten Stahlrohrsessel „Wassily“ entwarf, mag dem einen oder anderen durchaus bewußt sein. Daß aber die Ungarn an dem von Anfang an international aufgestellten Bauhaus – dies übrigens zum fortwährenden Ärger deutschnationaler und später nationalsozialistischer Kreise – die drittstärkste nationale Gruppe bildeten (allein mit sieben Bauhäuslern aus Pécs), dürfte bislang allerdings kaum ins allgemeine Bewußtsein gedrungen sein. Namen wie Otti Berger, Irén Blüh, Sándor Bortnyik, Etel Fodor, Alfréd Forbát, Erno Kállai, Farkas Molnár, Henrik Neugeboren, Gyula Pap, Margit Téry, Andor Weininger u.a. sind untrennbar mit der Geschichte des Bauhauses verwoben, und zwar mit allen Phasen dieser Schule – von den utopisch-expressionistischen Anfängen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg über die pragmatisch-konstruktivistische und zunehmend

Marcel Breuer, Wassily Chair, 1925
Foto © Rainer K. Wick
industrieorientierte Konsolidierungsphase in Zeiten einer sich erholenden Wirtschaft bis hin zur Spätphase mit marxistischen Tendenzen einerseits und einer dezidiert materialästhetischen Orientierung andererseits. So gelingt es der Ausstellung, die – hinlänglich bekannte – Geschichte des Bauhauses wenn nicht neu zu schreiben, so aber doch unter einem anderen Blickwinkel, nämlich aus der Perspektive der an der Schule lehrenden und lernenden Ungarn darzustellen. Vertieft und ausdifferenziert wird damit ein Projekt, das schon vor fünfundzwanzig Jahren unter dem Titel „Wechselwirkungen“ nach der Rolle der ungarischen Avantgarde in der Weimarer Republik fragte und ausführlich das Bauhaus thematisierte (Neue Galerie Kassel, 1986; Kurator Hubertus Gaßner, der heutige Direktor der Kunsthalle Hamburg).
 
Moholy-Nagy als Katalysator
 
Die relativ große Zahl ungarischer Bauhäusler wird erklärlich, wenn man sich die Tatsache bewußt macht, daß Ungarn bis 1918 Teil der österreichisch-ungarischen k.u.k. Doppelmonarchie war und insofern eine enge Verbindung mit dem deutschen Sprach- und Kulturraum bestand. Hinzu kommt, daß der Sturz der jungen ungarischen Räterepublik von Belá Kun Teile der politisch engagierten Avantgarde veranlaßte, 1919 die Heimat zu verlassen und, meistens über Wien als Zwischenstation, nach Deutschland zu kommen. Dies gilt auch für László Moholy-Nagy, der 1920 in Berlin eintraf, damals eines der europäischen Zentren neuester künstlerischer Strömungen. Hatte er sich schon in Ungarn schöpferisch mit dem Kubismus auseinandergesetzt, so erfuhr seine Kunst in Berlin einen entscheidenden Entwicklungsschub durch die Begegnung mit dem Dadaismus und die Beschäftigung mit der osteuropäischen Avantgarde, also Malewitsch, Rodtschenko, El Lissitzky, Tatlin, Kandinsky und anderen. Rasch gelang es ihm, sich die avancierte „Sprache der Geometrie“ anzueignen und einen Konstruktivismus ganz persönlicher Prägung zu entwickeln. Mit seiner Berufung an das Bauhaus in Weimar im Jahr 1923 als Leiter des Vorkurses und der Metallwerkstatt wurde er zum Katalysator des von Walter Gropius unter dem Motto „Kunst und Technik eine neue Einheit“ eingeleiteten Kurswechsels der Schule vom Expressionismus hin zum Konstruktivismus.
 
Brückenschlag ins Leben
 
Diese Neuorientierung hatte sich zwar schon früher in der Auseinandersetzung mit der holländischen

Farkas Molnár, Der Rote Würfel (Modell nach einem Entwurf 1922-23)
Foto © Rainer K. Wick
De Stijl-Bewegung angedeutet, was etwa der für die damalige Zeit kühne Architekturentwurf „Der rote Würfel“ von Farkas Molnár belegt; mit Moholy setzte sich aber eine Gestaltungsauffassung durch, die für das bis heute gültige (obwohl einseitige) Bauhaus-Bild als einer Hochschule, an der kompromißlos moderne Design- und Architekturlösungen erarbeitet wurden, bestimmend wurde. Daß es dem Bauhaus trotz seiner herausragenden Künstler-Lehrer wie Johannes Itten, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer und anderen nicht primär um Kunst ging, sondern um die Gestaltung des Alltäglichen, macht der Titel der sehenswerten Berliner Ausstellung „Von Kunst zu Leben“ mit aller Deutlichkeit klar. Was Gropius interessierte, war weniger die Kunst „an sich“, sondern die Nutzung kreativer künstlerischer Potentiale für die Bewältigung angewandter Gestaltungsaufgaben in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, und Moholy-Nagy sowie zahlreiche andere Ungarn am Bauhaus hatten in den unterschiedlichsten Bereichen – Architektur, Industriedesign, Gebrauchsgrafik, Fotografie, Textilgestaltung – Anteil an diesem Brückenschlag von der Kunst der Avantgarde hinüber in die reale Lebenswelt.
 
Informatives Katalogbuch
 
Die materialreiche Ausstellung wird von einem hervorragenden Katalogbuch von mehr als 400 Seiten Umfang begleitet, an dem neben zahlreichen ungarischen Autoren auch einige prominente deutsche Bauhaus-ExpertInnen mitgearbeitet haben, so die Direktorin des Berliner Bauhaus-Archivs Annemarie Jaeggi, der Leiter des Bauhaus-Museums in Weimar Michael Siebenbrodt, der Kunsthistoriker Andreas Haus und die Kunst- und Architekturhistorikerin Karin Wilhelm. Über die

Lászlo Moholy-Nagy, fotografiert von Lucia Moholy,
1926 - Foto © Bauhaus-Archiv Berlin
Darbietung von zum Teil kaum bekannten Dokumenten und neuen Fakten hinausgehend, ermöglicht die Lektüre Einsichten in Zusammenhänge, die das geläufige, nicht selten klischeehafte Bauhaus-Bild anreichern, erweitern und in mancher Hinsicht auch modifizieren.
 
Von Kunst zu Leben
Die Ungarn am Bauhaus
Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung
Klingelhöferstr. 14 - 10785 Berlin
Bis 21. Februar 2011; Mi-Mo 10-17 Uhr
 
Katalogbuch, hrsg. v. Janus Pannonius Múzeum Pécs/Bauhaus-Archiv Berlin, 2010
23,5 x 29,7cm, 420. S., Broschur -  30,- €, in der Ausstellung 25,- €
 
Weitere Informationen unter: www.bauhaus.de/aktuelles/ausstellungen.html
 
Redaktion: Frank Becker