Auf Augenhöhe mit Mozart

Ragna Schirmer und das Sinfonieorchester Wuppertal unter Toshiyuki Kamioka

von Frank Becker
Ragna Schirmer spielt Mozart
 
 
Das 5. Sinfoniekonzert der Saison 2010/11 in Wuppertal mit Werken von Messiaen, Mozart und Mendelssohn wurde zum umjubelten Erfolg für das bestens aufgestellte Orchester unter Toshiyuki Kamioka  - doch vor allem durch die grandiose Gast-Solistin Ragna Schirmer.
 
 
Wuppertal. Wenn sich an einem neblig-trüben, naßkalten Januarmorgen wie heute der große Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal nahezu bis auf den letzten Platz füllt, kann das im Grunde nur bedeuten, daß zum einen Publikumsliebling Toshiyuki Kamioka dirigiert und sich darüber hinaus durch die Ankündigung eines besonderen Solisten ein doppelt herausragender Musikgenuß erwartet wird. So geschehen gestern Vormittag bei der ersten Auflage des 5. Sinfoniekonzerts (morgen Abend wird das Konzert wiederholt), zu dem die Pianistin Ragna Schirmer als Gast eingeladen war. Der Name der auch durch ihre CD-Einspielungen von Werken Haydns, Schumanns und Chopins und die Verleihung des „ECHO Klassik“ 2009 an die Spitze der weltbesten Pianisten vorgerückten Musikerin zog Besucher auch aus der weiteren Umgebung an, die sich die Chance nicht entgehen lassen wollten, Ragna Schirmer einmal im Konzertsaal zu erleben. Sie wurden nicht enttäuscht.

Ein Lächeln

Vor ihren Auftritt hatte das Programm ein Lächeln gestellt, Olivier Messiaens Komposition  „Un sourire“ für großes Orchester. Im wiederkehrenden Wechsel seiner weichen Melodieblöcke von Streicher und Holzbläsern mit den scharfen Klangkontrasten durch die perkussiven Instrumente entsteht ein entrücktes, zugleich den Hörer entrückendes musikalisches Gebilde von hohem ästhetischem Rang, eine „Kleingkeit“ von gerade mal acht Minuten – ein Lächeln eben.

Auf Augenhöhe mit Mozart

Für Ragna Schirmers Auftritt mit Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert Nr. 22 in Es-Dur KV 482 aus dem Jahr 1785 wurde der große Steinway-Flügel des Hauses aufs Podium gebracht, der unter ihren Händen seine ganze glasklare Klangqualität zeigte. Es wäre ungemein spannend, Ragna Schirmer einmal die Mozartschen Klavierkonzerte auf einem alten Walter oder Bösendorfer spielen zu hören, denn ihre Fertigkeit läßt Mozarts Musik so hören, wie man sie sich von ihm selbst vorstellt. Technisch sicher auf Augenhöhe mit dem Rang des damals 29-jährigen Pianisten/Komponisten verinnerlichte Schirmer dessen Musik, zeigte sich trotz des hohen Schwierigkeitsgrades und mancher Klippen des Stückes, das Mozart vermutlich für sich selbst geschrieben hatte, traumwandlerisch sicher. Spürbar aus dem Herzen heraus spielte sie souverän, doch im steten Augenkontakt mit dem Dirigenten, folgte in den Ruhephasen der Hände doch stets konzentriert mit dem ganzen Körper dem Fortgang der Orchesterpassagen.


Ragna Schirmer - Foto © Frank Eidel
Völlig hingegeben verströmte sie die Musik förmlich, lief im großen Solo-Part des Allegro zu unerhörter Form auf und führte im Verein mit dem Orchester einen ungemein modernen Mozart auf, der Ahnungen von Beethoven und anderer späterer Komponisten bis ins 20. Jahrhundert hinein fühlen ließ. Das „Doppel-Paket“ Schirmer/Kamioka präsentierte eine Sternstunde in Virtuosität, Kongenialität und tiefstem Musikempfinden. Das abschließende Andantino cantabile markierte noch einmal die glückliche Zusammenarbeit mit vielen lächelnden Blicken. Ein großartiges Geschenk für das begeisterte Konzertpublikum, dessen Applaus mit zwei köstlichen Zugaben belohnt wurde.
 

Meeresstille
 
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche rings umher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuren Weite
Reget keine Welle sich.
 
 
Mendelssohn vertont Goethe

Felix Mendelssohn-Bartholdy gehörte der zweite Teil des Vormittags – seine „Meeresstille und glückliche Fahrt“ op. 27 entfaltete vor geschlossenem Auge das beeindruckende Bild, das Mendelssohn mit dieser Musik zu Goethes Text gezeichnet hat. Auch die Weiterfahrt unter vollen Segeln bei aufkommendem Wind hat Mendelssohn beschrieben – von Kamioka und dem Orchester wunderbar umgesetzt.
 
Glückliche Fahrt
 
Die Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle
Und Aeolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,
Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es theilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh ich das Land!
 
Mit scharfen Tempo ging Kamioka Mendelssohns Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90, die „Italienische“ zum Abschluß des Konzertvormittags an. Dem Ohrwurm-Charakter des 1. Satzes Allegro vivace gab er neue Bedeutung, entwickelte ihn prächtig in allen seinen Variationen und trieb das Orchester so dynamisch an, daß es danach zum seltenen Satz-Applaus kam. Das Thule-Motiv (abermals Goethe) bestimmt den 2. Satz, den Kamioka kunstvoll auströpfeln ließ, gefolgt vom tänzerisch beschwingten, mit weiter Geste angelegten 3. Satz con moto moderato. Das italienischste der „Italienischen“ ist sicher der vierte Satz Saltarello, Presto, der mit temperamentvollen italienischen Tanzmotiven neapolitanisches Lokalkolorit zeichnet.
 
Wiederholung heute

Das Konzert wird heute Abend, 20.00 Uhr an gleicher Stelle wiederholt. Eine Konzerteinführung gibt um 19.00 Uhr im Mendelssohn-Saal (sic!) Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse.
 
Weitere Informationen unter: www.sinfonieorchester-wuppertal.de