Grell-schräge Boulevard-Komödie

"Schneider Wibbel" hatte in Düsseldorf Premiere

von Andreas Rehnolt

"Nä, watt bin ich für 'ne schöne Leich."

Grell-schräge Boulevard-Komödie
"Schneider Wibbel" hatte in Düsseldorf Premiere
 Auf der Ausweich-Bühne Savoy-Theater begeisterte das Stück aus der Feder von
Hans Müller-Schlösser das Publikum
 
Düsseldorf - Als grell-schräge Boulevard-Komödie feierte die Düsseldorfer Symbolfigur "Schneider Wibbel" aus der Feder von Hans Müller-Schlösser am vorletzten Tag des Jahres 2010 auf der Ausweich-Bühne Savoy-Theater des Düsseldorfer Schauspielhauses Premiere. Bunt, laut und mit erheblichem Lokal-Kolorit in den Stimmen der Darstellerinnen und Darsteller überzeugte die gut zweistündige Inszenierung im vollbesetzten Haus das Premierenpublikum.
 
"Schneider Wibbel" ist der Titel eines Theaterstücks, das am 14. Juli 1913 am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde und damals mit über 1.000 (Paul Henckels glänzte damals in der Titelrolle) Aufführungen der Hit der Bühne war. Der Zeitpunkt für die Premiere am 30. Dezember 2010 ist sicherlich nicht schlecht gewählt. Immerhin stehen in den nächsten gut acht Wochen jede Menge karnevalistische Themen auf dem Programm vieler Düsseldorfer. Da kommt die bunte, laute und streckenweise in Düsseldorfer Platt aufgeführte Episode aus dem Handwerkermilieu sicher passend.
 
Die Geschichte geht auf eine wahre Begebenheit zur Zeit König Friedrich Wilhelms IV zurück. Ein Bäckermeister in Berlin war nach einer Messerstecherei im Rausch zu einer mehrwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er überredete seinen Gesellen, statt seiner die Strafe abzusitzen, doch dieser starb im Gefängnis, sodaß nun der Meister als tot galt. Als dies schließlich bekannt wurde, erfuhr auch der König davon und begnadigte den Bäcker. Müller-Schlösser verlegte die Handlung nach Düsseldorf, machte aus dem Bäcker- einen Schneidermeister und verlegte die Handlung in die Zeit der napoleonischen Besetzung Düsseldorfs Anfang des 19. Jahrhunderts.
In der jetzt aufgeführten Düsseldorfer Variante spielt das Stück im Jahr 1923. Immer noch (beziehungsweise schon wieder) sind die Franzosen die Besatzungsmacht. Entsprechend wallt in der ersten Szene eine riesige blau-rot-weisse Trikolore über die Bühne bis zum von Moritz Führmann wunderbar gespielten Wibbel in seiner Schneiderei. Der Hintergrund der Bühne ist vollbehängt mit Kleidern, Hosen, Jacken und Blusen aus der Requisite, zwei Gesellen helfen dem Meister beim Arbeiten.
 
Schon bevor es losgeht, süffelt Wibbel an einer Schnapsflasche herum und so kommt alles schließlich so, wie es kommen muß. Als ein kleines Mädchen in der nahen Kneipe das Lied "Warum ist es am Rhein so schön.." anstimmt, singt der inzwischen beschnapste Wibbel "Warum ist es am Rhein nicht schön..... Weil der Franzose, der Drecksack, das ganze Rheinland besetzt hat. Darum ist es am Rhein nicht schön, am Rhein nicht schön." Ein französischer Offizier hört das, macht sich seine Notizen und noch dazu legt sich Wibbel mit dem Wirt an, der es seinerseits eher mit den Franzosen hält.
Nach einer wüsten Schlägerei auf der Bühne steht fest: Wibbel muß für vier Wochen in Haft. Aus Angst, sein Geschäft so zu ruinieren, überredet er den ihm getreuen Gesellen Zimpel (Denis Geyersbach), statt seiner in den Knast zu gehen. Doch der lungenkranke Zimpel stirbt schon nach der Hälfte der Haftzeit. Wibbels Frau Fin (genial: Claudia Hübecker) überredet ihren Mann, Zimpel als Wibbel beerdigen zu lassen. Der Schneider kann so tatsächlich sein eigenes Begräbnis beobachten und befindet: "Nä, watt bin ich für 'ne schöne Leich."


Foto: Schauspielhaus Düsseldorf
 
Wibbel selbst arbeitet im Kabäuschen weiter in seiner Schneiderei, ist aber eifersüchtig auf den zweiten Gesellen, Mölfels, der seiner Fin nachstellt. Als dann auch noch der Bruder von Zimpel auftaucht - mit grauslichem Ost-Akzent - und Mordgerüchte in die Welt setzt, erfindet Fin schlicht und schnell den Bruder des angeblich gestorbenen Anton Wibbel, Jean Baptist. Den heiratet sie dann auch, bekommt einen Sohn, doch schon bald machen sich Neid, Gerüchte und Anfeindungen breit.
Kaum einer aus dem Umfeld der Wibbels glaubt die Geschichte vom Bruder Jean Baptist. Erst vor einem Staatsanwalt gestehen Fin und Anton ihre nicht ganz legale Handlungsweise um die vier Wochen Gefängnisstrafe. Bis dahin hat dann das Lokal-Stück einige Längen und Hänger. Aber es zeigt auch deutlich, wie in der Weimarer Zeit Denunziantentum ganze Existenzen vernichten konnte. Und als schließlich Anton Wibbel nun doch selbst seine vierwöchige Haftstrafe antreten soll, da rufen er und seine Frau Fin schon wieder nach dem neuen Gesellen, der statt seines Meisters in den Bau gehen könnte.
 
Am Ende gibt's langen Applaus für ein spielfreudiges Ensemble, vier tolle Musiker, die die Inszenierung live begleitet haben und eine durchaus passende Regiearbeit, in die wegen Krankheit des Regisseurs drei Wochen vor der Premiere noch Generalintendantin Amélie Niermeyer eingreifen mußte. Übrigens kommt die Figur des Schneider Wibbel als Spieluhr in der in der Altstadt von Düsseldorf befindlichen Schneider-Wibbel-Gasse fünfmal am Tag zum Klingen und Nähen.
  
Die eigentlich simple Story wurde zudem siebenmal verfilmt. Darunter 1931 unter der Regie von Paul Henckels, der auch die Titelrolle spielte, 1939 unter der Regie von Viktor de Kowa mit Erich Ponto in der Titelrolle und 1956 mit Heinz Rühmann als "Das Sonntagskind" - die Handlung wurde ins Nachkriegsdeutschland der englischen Besatzungszone nach 1945 verlegt. In der Zeit um die Währungsreform wird Wibbel wegen des Tragens einer englischen Armeeuniform bei der Altweiberfastnacht verurteilt.
 
 
 Redaktion: Frank Becker