Ein Kosmos von Gewalt

Kabale und Liebe am Staatstheater Nürnberg von Christoph Mehler grandios inszeniert

von Alexander Hauer
Staatstheater Nürnberg 
Kabale und Liebe
Bürgerliches Trauerspiel
von Friedrich Schiller

 

Durch kluges und geschicktes Streichen kommt Christoph Mehler auf knapp zwei Stunden. Zwei Stunden, die viel zu schnell vergehen, die schier atemlos genossen werden können. Es fehlen zwar die Millerin, die Landeskinder und die blutigen Diamanten, aber das Drama um unmögliche Liebe und Behördenwillkür bleibt trotz allem voll erhalten.

Nehle Balkhausens Bühne ist ein klaustrophobischer, schwarzer Raum, der den Hofmusikus Miller und seine Tochter Luise bedroht, der Obrigkeit aber Sicherheit und Macht verleiht. Anne Hölzingers zwischen Rokoko und Moderne changierende Kostüme haben eine eigene Dramaturgie, unterstützen sie doch Mehlers Figurenzeichnung aufs Genaueste, ohne sich in Selbstverliebtheit zu verlieren.
Mehler nimmt Schiller ernst, entfernt mit chirurgischer Genauigkeit Überflüssiges und behält nur den Kern, den er brutal in Szene setzt. Die Charakterisierung seiner Figuren trifft ungebremst, mit voller Wucht auf den Zuschauer, der mit liebt, mit haßt und vor allem mit leidet.
Zu lieben gibt es nur zwei. Henriette Schmidts Luise, die zu schwach ist, um mit ihrem Ferdinand zu fliehen, und eben jener Ferdinand, den Felix Axel Preißler einem glaubwürdigen Reifeprozeß unterzieht, an dessen Ende die Befreiung vom übermächtigen Vater in Form des Freitodes steht. Aber bis die beiden sterben, durchlaufen sie einen ganzen Kosmos von Gewalt.


Henriette Schmidt, Felix Axel Preißler - Foto © Marion Bührle

Pius Maria Küppers ist als Miller - ein liebender Vater, leider versoffen, verkommen und obrigkeitshörig - der harmloseste unter den Gewaltmenschen, will er doch nur seinen niederen status quo erhalten und seine Luise dem Sekretär Wurm geben. Stefan Lorch gibt diesen dauergeilen Wichser, im wörtlichen Sinne, auf erschreckend direkte Art. Einerseits als sadistischen Liebhaber, andererseits ein Masochist, der die körperliche Gewalt seines Dienstherrn, bis hin zum Exkrementendienst, genießt. Haßobjekt Nummer eins bleibt Präsident von Walter. Thomas Klenk läßt in seiner Interpretation dieses Bösmenschen de Sades Adlige aus den „120 Tagen von Sodom“ als nette Onkels erscheinen. In seinem Universum ist er der Fixstern, um den sich alles dreht, dem sich alles unterordnen muß, und der alles bestimmt. Und seine Befehle setzt er mit erschreckender Grausamkeit durch. Viel Blut fließt, wenn Walter Wurm die Nase zerquetscht oder seinen Sohn vor Publikum windelweich prügelt. Jochen Kuhl gibt den Hofmarschall von Kalb als widerwärtige, halbschwule Hofschranze, dessen Perfidität nur noch von der Adelsnutte Lady Milford übertroffen wird. Die unvergleichliche Julia Bartolome durchwandert ein ganzes Universum an Darstellungskunst für die Beschreibung dieses Ungeheuers.
Mehler zeigt die ganze Härte eines Unrechtsstaates und seiner Bediensteten auf, die Angst der Bürger und wie schnell eben dieser Bürger unter Druck zusammenbricht.
 
Am Ende, wenn Luise und Ferdinand unter einem karnevalesken Konfettiregen verrecken, wenn der Soundtrack des Stückes nur noch zur Verhöhnung des Paares dient, wenn das Gift zu langsam wirkt, bleibt das Publikum hilflos und paralysiert zurück. Am Premierenabend dauerte es, bis man sich in frenetischen Jubel für Schauspieler und Regieteam rettete. Mit dieser Kabale setzt Nürnberg Maßstäbe.


Henriette Schmidt, Felix Axel Preißler - Foto © Marion Bührle

Weitere Informationen unter:
www.staatstheater-nuernberg.de

Redaktion: Frank Becker