Eine vielschichtigeTraum(a)-Geschichte

"Peter Pan" in einer Inszenierung des Wuppertaler Kinder- und Jugendtheaters

von Frank Becker
Mit Haken und Ösen
(gehörst Du zu den Bösen)
 
Das Wuppertaler Kinder- und Jugendtheater zeigt:
„Peter Pan“
Ein Musical von Lars Emrich nach J.M. Barrie
 
Man darf wohl behaupten, daß jedes Kind (und jeder Erwachsene) die Geschichte von Peter Pan kennt, dem mutterlosen Kobold aus Nimmerland, dem Jungen, der nie erwachsen werden will. James Matthew Barrie hat sie 1904 geschrieben und sie ist seither vielfach verfilmt worden. Am bekanntesten wurde wohl der geniale Disney-Trickfilm von 1953. Der 1991 gedrehte Fantasy-Film „Hook“ von Steven Spielberg mit Robin Williams, Dustin Hoffman, Julia Roberts, Bob Hoskins und Maggie Smith hat die Geschichte fortgeschrieben. Lars Emrich hat das Bühnenstück nach der ersten deutschen Fassung von Erich Kästner für das KJT mit vielen Liedern bearbeitet und inszeniert, Laurentiu Tuturuga das Bühnenbild und die Kostüme gestaltet. 
 
Seit Wendy Darling (liebevoll von Charlott Hoebel gestaltet) den Kobold eines Nachts an ihrem

Wendy (Charlott Hoebel)
Londoner Zimmerfenster im 3. Stock gesehen hat, ist sie von ihm verzaubert, vielleicht sogar in ihn verliebt. Seinen verlorenen Schatten verwahrt sie in der Schublade ihrer Kommode, weil sie auf seine Wiederkehr hofft. In der Nacht, die Eltern sind ausgegangen, kommt er in Begleitung der Elfe Tinkerbell (charmant und charaktervoll: Sophie Schwerter) tatsächlich. Tinkerbell findet den Schatten, und Wendy näht ihn dem Kobold wieder an. Neugierig fliegt mit Hilfe von Feenstaub mit Peter ihren Brüdern John (Robert Flanze) und dem Nesthäkchen Michael (Johannes Klein) nach Nimmerland. Dort leben stolze Indianer, wilde Piraten, die „verlorenen Jungs“ (eine mit Flitzebogen bewaffnete Truppe von ebenfalls mutterlosen Knaben), ein Krokodil mit einem Wecker im Bauch und der fürchterliche Captain James Hook (Dieter Marenz, auch als Vater Darling überzeugend) mit der Hakenhand. Der - allerdings selbst ein Liebe Suchender, wie sich zeigt - dürstet nach Rache gegen Peter Pan (Julian Marenz zwischen Lausbub und puer senex), dem er die Schuld gibt, daß einst seine fehlende linke Hand im Magen des Krokodils landete, das ihn seither aus Appetit auf den Rest verfolgt.
 
Ein Wirbel von aufregenden Abenteuern folgt, bei dem die Häuptlingstochter Tiger-Lily (Sophie Schwerter), Wendy und die Elfe Tinkerbell um die Liebe Peters ringen. Man sieht schon, Barrie hat tief in allerlei Kisten mit Versatzstücken aus Mythologie, Psychologie und Literatur gegriffen. Der

Die verlorenen Jungs
verlorene Schatten als romantischer Hinweis auf die verlorene Identität, pubertäre Träume von Liebe, Küssen und der noch nicht entdeckten, doch erwachenden Sexualität, Verlustängste, ödipale Mutter-Schwärmereien, das Liebesopfer Tinkerbells und die Rettung durch ihren Helden Peter, Träume vom groß werden und zugleich unbestimmte Ängste vor dem Numinosen werden illustriert und bestimmen die beklemmende Traumhandlung des Stückes. Schließlich besiegen Holzschwert und Kinderliebe den Piratensäbel und die Angst.
 
Erschütternd ist, natürlich nicht für die Kleinen, die der 105-Minuten-Aufführung mit vielen Liedern ohne Pause gespannt folgten, der Vergleich mit der tragischen Lebensgeschichte des Michael

Peter Pan (Julian Marenz) und Tinkerbell
Jackson, dessen Hilfeschrei „Neverland“ ihn nicht vor dem Untergang schützen konnte. Das Schicksal des Pop-Sängers, dessen Leben und Karriere ein einziges Trauma gewesen sein müssen, gehört zu den schrecklichsten Dramen der modernen Kulturgeschichte. Für die Kinder, die das Stück anschauen, ist „Peter Pan“ ein phantastisches Märchen, de facto aber ist es ein dauernder Alptraum Barries, der erst mit dem Erwachen und der Heimkehr der Kinder in die heile Welt der Familie endet. Freud läßt grüßen.
 
Fotos: Kinder- und Jugendtheater Wuppertal

Weitere Informationen und Termine unter: www.kinder-jugendtheater.de