Düsseldorfer Heimspiel
„Joseph Beuys. Parallelprozesse“
in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Hohepriester eines radikal neuen Kunstbegriffs oder dreister Provokateur, sensibler Zeichner oder Protagonist einer kruden Materialästhetik, Messias einer besseren Gesellschaft oder politischer Phantast, Schamane oder Scharlatan – an Beuys (1921–1986) haben sich schon immer die Geister geschieden, und auch die aktuelle Werkschau in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dürfte bei allem Publikumsinteresse daran
Nachdem sich der im Juni verstorbene Gründungsdirektor und langjährige Leiter der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Werner Schmalenbach stets geweigert hatte, den jahrzehntelang in Düsseldorf lebenden und arbeitenden Beuys in seinen Räumen auszustellen, richtete sein Nachfolger Armin Zweite dem rheinischen Avantgarde-Künstler im Jahr 1991 eine große und seinerzeit vielbeachtete Ausstellung unter dem Titel „Natur, Materie, Form“ ein. Nun sucht sich fast zwei Jahrzehnte danach Zweites erst kürzlich in die rheinische Metropole gekommene Nachfolgerin Marion Ackermann im Rahmen der diesjährigen Düsseldorfer Quadriennale an der damaligen Ausstellung zu messen, indem sie Beuys unter dem Motto „Parallelprozesse“ präsentiert. Ihr Ziel ist es, die Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit des Beuysschen Œuvres darzustellen und dessen „komplexe Vernetzungsstrukturen … sichtbar und sinnlich erfahrbar“ zu machen. So geht es um die Parallelitäten von Zeichnung und Bildhauerei, von Installationen und Performance, von künstlerischem Denken und politischem Handeln; und um die Konvergenz all dieser Aspekte in dem von Beuys postulierten „erweiterten Kunstbegriff“, der die – letztlich uneinlösbare – Aufhebung der Differenz von Kunst und Leben bedeutet.
Mit einem klaren, der Chronologie verpflichteten und zugleich thematisch gliedernden Konzept versucht die Düsseldorfer Ausstellung, Beuys dem Besucher näherzubringen. Die Darbietung des Materials kreist um jeweils exemplarisch ausgewählte Artefakte, die für die entsprechende Werkphase signifikant sind. Den Auftakt bildet der „Torso“ von 1949/51, eine Arbeit, die in der
Gut dokumentiert sind in Düsseldorf die frühen Zeichnungen des Künstlers, die Mensch und Tier (vorwiegend Hase und Hirsch) thematisieren - Blätter, die in ihrer scheinbaren Unfertigkeit und in ihrem unakademischen Erscheinungsbild unverwechselbar sind. Eduard Beaucamp hat schon dem jungen Beuys bescheinigt, daß er in seinen Zeichnungen versuche, „die Formalisierungen der modernen Kunst rückgängig zu machen und in der Kunst so etwas wie die Einheit allen Lebens wiederherzustellen.“
Fett und Filz
Symbole des Lebens bzw. des Lebendigen sind zwei Materialien, die geradezu Markenzeichen des Künstlers geworden sind und sich vom herkömmlichen Materialfundus eines Bildhauers radikal unterscheiden: Fett und Filz. Bei einigen sog. Naturvölkern spielt Fett im Rahmen von Beschwörungsriten eine besondere Rolle, wo es zusammen mit Blut Bestandteil magischer Substanzen oder auch bestimmendes Element von Ritualobjekten selbst sein kann – so etwa in afrikanischen Fetischskulpturen. Mag auch bei Beuys das Fett zuweilen die Qualität des Magischen annehmen, so hat es für ihn vor allem als organisches Material und als Material, das Prozeßhaftigkeit anschaulich werden läßt (Erstarren und Zerfließen und umgekehrt) eine besondere Bedeutung. Es ist für ihn Energieträger, wie auch Filz für ihn ein Energiespeicher ist. Beide Materialien ziehen sich als Konstanten durch sein Werk und treten zuweilen auch miteinander kombiniert gemeinsam auf.
Immer wieder wird zum Verständnis der Beuysschen Arbeiten auf Biografisches zurückgegriffen, mit Vorliebe auf die Erzählung des Künstlers, er sei im Krieg als deutscher Sturzkampfflieger von
Die großen Installationen
Der Schwerpunkt der Düsseldorfer Werkschau liegt auf den großen Installationen des Künstlers wie
Kritische Einwände
Als Mitstreiter der Fluxus-Bewegung ging es Beuys seit den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer seltener um das statische Einzelwerk, sondern zunehmend um Prozessuales, und zwar zunächst noch im Radius künstlerischer Praxis, dann – diesen transzendierend – im Sinne übergreifender sozialer Prozesse und politischer Aktionen. Dies ist ein Aspekt, der in der
Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist ein Besuch der Ausstellung unbedingt lohnend, weil zur intensivierten Auseinandersetzung mit einem der interessantesten und kontroversesten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert anregend. Gelegenheit dazu besteht noch bis zum 16. Januar 2011.
Joseph Beuys. Parallelprozesse
11.09.2010 – 16.01.2011
K20 Grabbeplatz und Schmela Haus Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Grabbeplatz 5 40213 Düsseldorf Katalog: Zur Ausstellung "Joseph Beuys. Parallelprozesse" erscheint der gleichnamige Katalog, mit Texten von Marion Ackermann, Gottfried Boehm, Wilfried Kuehn, Isabelle Malz, Maja Naef und Johannes Stüttgen sowie einem Interview mit Marina Abramovic, 432 Seiten, 280 Abbildungen in Farbe, gebunden, herausgegeben von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Verlag Schirmer/Mosel, München, € 49,90 Weitere Informationen auf der nervtötenden (Anm. d. Redakteurs) Internetseite der Kunstsammlung NRW: www.kunstsammlung.de und auf: www.schirmer-mosel.de
Redaktion: Frank Becker |