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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko
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Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko


Das arabische Auge sieht mich an. Mit jedem Lidschlag zeigt es mir eine Moschee, ein Mosaik, eine Einlegearbeit, ein Haus mit Innenhof, in seiner Mitte einen plätschernden Brunnen. Die Muezzine in Damaskus rufen fünfmal am Tag zum Gebet und das Auge schließt sich für kurze Zeit, besinnt sich, um erneut den Blick auf eine der ältesten bewohnten Städte der Welt zu richten.
            Das Gefäß aus Perlmutt, aus dem ich täglich trinke, schimmert wie ein Versprechen. Der Innenhof legt sich schützend um mich. Der Brunnen entwirft Formen und Farben. Sie bereiten mich vor auf die orientalische Begegnung. Eines der sieben Tore von Damaskus, das Tor Bab Kissan, erinnert an Saulus. Wie Schuppen fiel die Blindheit von seinen Augen. Er wurde sehend. Ich bin trunken von Licht und Farbe dieser Stadt.
            Radwan, unser Damaszener Freund zeigt mir sein Vaterhaus. Es liegt mitten in einem Hain von Palmen, Zedern und Eukalyptusbäumen, im Rawda Stadtteil der Ärzte- und Anwaltspraxen. Direkt am Fuß des Hausberges Qassiun, an dem die Gebäude der danebenliegenden Viertel hochklettern wie Ziegen. Hier steht die Zeit still. Ich höre keine Schreie der Melonenverkäufer oder Gemüsehändler, die noch mit zweirädrigen Karren durch die Straßen ziehen, höre nicht das metallene Klicken der aneinander stoßenden Gasflaschen auf den flinken, ständig hupenden Transportern oder den Ruf des Trinkwasserverkäufers, wie er täglich im Stadtteil Jaramana zu hören ist, wo meine Schwester ein Haus besitzt. Im Rawda Viertel kommt das Trinkwasser aus einer Quelle des Flusses Barada. Es ist klar und gekühlt so erfrischend wie verdünnter Granatapfelsaft.
            Hinter den dicken Mauern des Hauses reichen die Türen bis zur Decke. Durch architektonisch klug entworfene Luftschächte weht ständig Kühle. Im Empfangsraum sind die Sofas und Stühle mit weißen Tüchern abgedeckt. Ein Zeichen eines längeren Unbewohntseins. Radwans Familie wohnt lieber im Midan Viertel, wo eine rege Geschäftstätigkeit herrscht, wo der Geruch des frisch gerösteten Kaffees in den Ritzen der Häuser nistet und die vielen nebeneinander liegenden Läden in den Straßen zum Kaufen einladen.
            Es ruht sich gut abseits der Hitze der Mittagsglut. Alte Ventilatoren erzeugen zusätzliche Kühle. Ihr Surren verscheucht die Stille. Das alte Haus ächzt vor Vergangenheit.  Radwan erzählt Geschichten aus einer Damaszener Kindheit. Fast so wie Rafik Schami in seinem Buch „Der Fliegenmelker“:
            „Und wenn es uns im Sommer heiß wurde, so bat er Großmutter höflich, sie möge frischen Wind machen. Großmutter klopfte an die Wand und ein alter Propeller an der Decke zauberte geräuschvoll eine frische Brise hervor. Großvater lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Göttlich, flüsterte er genußvoll und schlief ein“.
            An der Wand des Empfangsraumes hängt eine Kalligraphie. Die Worte tönen bildhaft verschlungen, ähnlich dem Laut der Marktschreier oder dem Murmeln der Männerrunden in den Suqs, die auf Plastikstühlen vor den Geschäften sitzen und süßen Tee schlürfen. Der Kaffee ist ebenfalls süß und sehr schwarz. Der Kardamomgeschmack liegt noch lange auf der Zunge.             Meine Zunge tut sich schwer mit der arabischen Sprache. Der Gruß marhaba im Teehaus Noufara hat bereits lange vor mir Platz genommen. Wenn die traditionelle Wasserpfeife bereitet wird, die Kohle glüht und Tabakrauch durch das reinigende Wasser in die Lunge strömt, werden unzählige Worte gewechselt. Manchmal schwimmen Eiswürfel oder eine Zitronenschale im Wasser. Sie geben dem Raucher zusätzlichen Genuß. Wenn das Schweigen sich mit dem würzigen, kühlen Rauch verzieht, ist wieder das Reden angebracht. Es herrscht in reges Kommen und Gehen. Männer mit weißen, arabischen Gewändern, verschleierte Frauen, Frauen mit oder ohne Kopftuch, mit dunkel geschminkten Augen, die ihre Schönheit unterstreichen, werden zuvorkommend von den Kellnern und einem Abu Nara bedient, dem Vater des Feuers. In einem Gefäß schwenkt er die glühende Kohle. Immer wieder legt er mit einer Zange frische Glut in die Tabakbehälter, streift die Asche mit einer schnellen Bewegung einfach auf den Boden. Während er die Zange mit dem Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger hält, spreizt er den Ringfinger und kleinen Finger, so wie   die sandfarbene Damaszener Taube ihre Flügel. Sie baut auf dem Fenstersims des Schlafzimmers im Haus in Jaramana ihr Nest. Mit ihrem gebogenen Schnabel legt sie vorsichtig Halm auf Halm. Ein paar Tage später liegen Eier im Nest. Auch in der brütenden Mittagshitze sitzen Taube und Täuberich abwechselnd im Nest. Das Schlüpfen der Jungen und ihr Flüggewerden erlebe ich noch, bevor ich Damaskus verlasse.
            Eine Taube entfernt sich nie mehr als sieben Steinwürfe von einer Oase, denn sie muß täglich trinken, sagt der alte Taxifahrer, der mich ins Zentrum gefahren hat. Damaskus ist übervoll mit vogelgelben Taxis, die ständig hupen. Sie steuern mit untrüglichem Gespür für einen Abstand von ein paar Millimetern durch den mörderischen Verkehr. Auch bei einer Temperatur von fast vierzig Grad schwitzen die Fahrer nicht. Ihre Gebetsketten hängen vom Rückspiegel oder baumeln vom Lenkrad. Unter dem Lenkrad gibt es eine Abstellplatte für das Teeglas, das sie bei einem Blitzaufenthalt am Straßenrand beim Teehändler schnell auffüllen.
            Sie kennen sich alle, die die Straße bevölkern, von ihr leben. Der schon von weitem ausbalancierte Strahl aus der Teekanne in der Hand des eifrigen Händlers kommt dem Taxi entgegen. Der Taxifahrer wirft zugleich ein fünfundzwanzig Lirastück mit hohem Bogen in die Büchse. Es ist wie ein Spiel, das schon lange geübt wurde. Das Straßenchaos hat Methode und folgt dem Gesetz der Bedürfnisse. Dieses Gesetz ist unergründlich und man muß hier leben, um es zu verstehen. Die Palmen nicken unbeugsam von den alten in die neuen Tage.



© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010