Lieber Sebastian Vettel...

Ein Kontrapunkt

von Peter Bilsing

Foto © Frank Becker
Lieber Sebastian Vettel,
 
Du bist ein toller Kerl, ein Idol für Millionen Deutsche - eine Vorbildfigur für die Jugend. Du hast große sportliche Leistungen erbracht und bist immer sympathisch, offen und nett geblieben. Ein großes Sportidol quasi zum Anfassen. Und immer vorbildliches Fair Play - kein Makel eines „Schummel-Schumi“ haftet an Dir. Demnächst wirst Du von unseren Politikern, die sich natürlich gerne mit Dir schmücken wollen, im Dauerwahlkampf („Seht her Leute: ich und der Basti. Wir sind Freunde, da kann unsere Partei und Politik also nicht so schlecht sein!“) vermarktet und mit nationalen Orden und Abzeichen wahrscheinlich nur so überschüttet. Du bist auf dem Zenit. Alle bewundern Dich. Du bist fleißig, intelligent (passables Abi) und strahlst Ehrlichkeit aus. Und du hast schon soviel Lebenskompetenz, daß Du Dich selber managst - super! Da geht kein Geld sinnlos verloren. Du bist keineswegs ein Baby-Schumi, Du bist viel besser. Nur für Dich wird vor Millionen Zuschauern die deutsche Nationalhymne gespielt.
 
Ich habe nur ein klitzekleines Problem. Kein Neid - ehrlich nicht!
 
Du bist in dem schönen mir sehr gut bekannten Örtchen Heppenheim geboren. Ein toller Ort an der Bergstraße. Wobei man nicht nur von der wunderbaren historischen Altstadt mit ihren romantischen Gassen und einladenden Lokalen zu sprechen hat, sondern auch von einen verkehrstechnisch optimal erschlossenen Gewerbegebiet - Gratulation an die Stadtväter! Bei den Heppenheimer Festspielen wird große Kultur geboten, beim Straßentheater-Festival Gassensensationen, also viel kleine Kultur. Reichlich Kammermusik gibt es im historischen Kurfürstensaal. Über das gut ausgebaute Netz von Wanderwegen auf den Höhen des Odenwalds und über Heppenheimer Besonderheiten wie den Laternenweg habe ich mich stets gefreut. Hier steckt viel städtische Arbeit, Engagement und auch Steuergeld drin. Wie wunderbar wurde das Rathaus restauriert; nicht zu vergessen den Dom St. Peter. Wieviele Millionen hat dessen Erhaltung bisher gekostet… Ein Kleinod. Eine gut ausgebaute kommunale Infrastruktur mit Schulen und Sportstätten trägt gleichfalls zur recht hohen Lebensqualität bei, die Heppenheim seinen Einwohnern zu bieten hat. Die Odenwaldschule z.B. hat einen internationalen Ruf, renommierte Künstler wie Thomas Mann, Ernst Barlach, Wolfgang Hildesheimer oder Else Lasker-Schüler haben ihre Kinder der Odenwaldschule anvertraut. Ein Stadt wahrhaft zum Schwelgen. Ein wichtiger Grund für die Existenz ist, daß viele Millionen Steuern - ob Kirchensteuer, Kommunalsteuer oder Landesteuern hier hinein gesteckt wurden. Geld der Bürger - solidarischer Beitrag der Menschen für ihre Heimat, für unser schönes Land Bundesrepublik Deutschland. Ein friedvolles wunderbares Land, unsere Heimat.
 
Und da ist nun mein Problem:
 
Es gibt viele tausend Heppenheims in Deutschland, große und kleine, schöne und unschöne (die wir aber schöner machen wollen), reiche und arme Gemeinden, Städte und Bundesländer – alle haben aber eines gemeinsam: Sie leben vom Solidarbeitrag aller (!) Bürger - Steuern genannt. Wer viel verdient, zahlt viel. Wer wenig verdient, zahlt wenig. Sehr gerecht. Das ist unser solidarisches Sozialprinzip - wesentliches Existenzmerkmal unserer Bundesrepublik und conditio sine qua non. (was soviel heißt wie: ohne dies geht nichts mehr.)
 
Du hast, lieber Sebastian, sicher auch den Kindergarten besucht. Hast ein hervorragendes Schulsystem (gratis) genossen; Dir standen Bibliotheken, Schwimmbäder und viele andere städtische Bürgereinrichtungen in Heppenheim fast gratis zur Verfügung. Von den Altenheimen will ich noch nicht sprechen. Die Polizei hat Dich beschützt, die Feuerwehr wäre sofort zur Stelle gewesen, wenn es bei Euch gebrannt hätte. Unfallrettungsdienst und Krankenhäuser waren rund um die Uhr für Dich bereit. Euer Haus hatte fließend Wasser und die Abwässer wurden korrekt entsorgt. Strom gegen geringes  Entgelt ließ abends die Straßenlaternen leuchten und Dich sicher Deinen Heimweg finden. Ich habe bestimmt noch ein paar andere Dinge vergessen. Aber Fazit: Du bis in Heppenheim glücklich und behütet aufgewachsen.
 
Ohne die Steuern der Bürger wäre das sicherlich anders verlaufen.
 
Oh je! Und jetzt, wo Du als Millionenverdiener Deinen Teil mehr als zurückzahlen kannst, fliehst Du in die Schweiz und zahlst dort Deinen gesellschaftlichen Sozialbeitrag, den unser Land so dringend bräuchte – na ja: eigentlich zahlst Du den ja auch nicht (bis auf den kleinen Teil, den Du freiwillig mit der Gemeinde Kemmental/Thurgau vereinbart hast), denn den Beruf des „Rennfahrers“ gibt es ja in der Schweiz nicht, wie wir beide wissen, ergo fallen offiziell auch keine richtigen Steuern an. Psssst, ja, ich verrate es keinem weiter! Bleibt unter uns Fahrensbrüdern. Versprochen!
 
Das alles stimmt mich sehr, sehr traurig. Und deshalb mußte ich Dir das einfach mal so deutlich schreiben. So quasi Aug in Aug sagen. Auch wenn meine 4 Kinder, alle übrigens große Fans von Dir , jetzt schimpfen und mich beleidigen werden „Papa, Du bist doch nur neidisch. Du würdest es genauso machen, wenn Du soviel Geld hättest!“ - Vielleicht, aber dann würde ich mich unheimlich schämen. Aber nee, ich bleibe hier und schau den Leuten und meinem Rasierspiegel lieber weiterhin  ehrlich und offen ins Gesicht      
 
Dein Peter