Die Hoffnung stirbt zuerst

Peter Wallgram inszeniert in Wuppertal Dennis Kellys Konsumwahn-Drama

von Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Die Hoffnung stirbt zuerst

Peter Wallgram inszeniert in Wuppertal
Dennis Kellys Konsumwahn-Drama
 

Der Titel ist Programm: Das Stück „Liebe und Geld“ von Dennis Kelly, 2006 uraufgeführt und nun von Peter Wallgram an den Wuppertaler Bühnen inszeniert, führt die Folgen des kapitalistischen Denkens am Beispiel eines Paares vor, dessen Liebe zu Konsumwahn und Heimtücke degeneriert. Jess, eigentlich ein positiv denkender Mensch, wird erst kaufsüchtig, dann depressiv, und ihr Mann David entscheidet sich schließlich dafür, ihr beim Selbstmord etwas nachzuhelfen, um sich ein schickes Auto leisten zu können. Zwischen Anfang und Ende dieser traurigen Geschichte wird das Umfeld der beiden in seiner Profitgier und Erbarmungslosigkeit präsentiert und mit diesem Einfluß die Erklärung für ihren Abstieg geliefert.
 
Hier lauert ein Problem für die Verständlichkeit der Handlung; denn in den erklärenden Einzelszenen ist es nicht immer einfach, den Gesamtzusammenhang im Blick zu bewahren. Das zweite Problem ist die Chronologie: Kurzerhand hat Autor Kelly sie auf den Kopf gestellt, sodaß man erst mit dem Tod von Jess konfrontiert wird, dann den Weg dorthin erlebt und am Ende vom Beginn der Liebe erfährt. Doch das Schöne ist: Zumindest die aktuelle Wuppertaler Inszenierung ist auch dann mit Gewinn zu verfolgen, wenn einmal der rote Faden der Rahmenhandlung verloren geht. Die Szenen werden auch dank Regie und Spiel zu kleinen Einheiten mit Eigenwert, die jeweils ebenfalls von „Liebe und Geld“ handeln – und von Macht.
Das trifft natürlich schon auf den Anfang des Abends zu, wenn David (Marco Wohlwend) einer Internetbekanntschaft (Sophie Basse) nach einigem Sträuben gesteht, daß er seiner halb ohnmächtigen Frau noch Wodka eingeflößt hat, um zu verhindern, daß sie sein Vermögen weiter verpraßt. Ohne Übergang lernt der Zuschauer danach (logisch also davor) in einem bizarren Auftritt die Eltern der Toten kennen: An Kuohn und Holger Kraft kommen in mobilen Ohrensesseln auf die Bühne gefahren und beginnen, mit falschen Nasen ausgestattet, aus dieser Bequemlichkeit heraus zu erzählen. Eigentlich, der Eindruck entsteht durch diese visuelle Idee, sind sie Piefkes, aber das hinderte nicht, daß sie zu Grabschändern wurden: Das Nachbargrab neben dem ihrer Tochter ist viel zu prunkvoll; der Vorschlaghammer bereitet dem in ehelicher Gemeinschaftsaktion ein Ende, und auch hier geht es um Macht – die des „kleinen Mannes“ „über den Reichtum“.


Holger Kraft, An Kuohn - Foto © Sonja Rothweiler
Und so geht es weiter. Als David versucht, in der Telekommunikations-Firma einer Exfreundin unterzukommen, zeigt die genüßlich ihre Dominanz: Während er herumstottert, er wolle keinen Gefallen von ihr, obwohl alle wissen, daß er genau das will, läßt die Regie sie mit ihrem Mann (Thomas Braus) schamlose Küsse austauschen; am offensichtlichsten wird die Demütigung, als sie ihm auf der Suche nach einem alten Leberfleck die Hose herunterzieht. Etwas notdürftig wird das Machtmotiv bei der Episode in der Disco: Hier becirct ein schmieriger Typ ein einfach gestricktes Mädchen mit den „vielen Möglichkeiten“, mit denen er sie berühmt machen könne. Diese Szene hätte man auch gut um die Hälfte kürzen können, denn außer einer weiteren Variante von besagtem Motiv gibt sie eigentlich nicht viel her. Sophie Basse als kaugummikauendes Teenie-Girl („Vielleicht werde ich Terrorist, Kommunist oder Stripper“) ist allerdings ein Erlebnis. 


Marco Wohlwend, Sophie Basse, Thomas Braus  - Foto © Sonja Rothweiler
 
Auch wenn diese Nebenstränge also für sich funktionieren, stehen sie für die Fixierung auf Besitz, die allmählich auf Jess‘ und Davids Liebe übergreift, sie zur Kaufsüchtigen und ihn zum Mörder macht. Allerdings: Die Inszenierung geht noch einen Schritt weiter und konzentriert sich auf den tiefen Fall von Jess. In einer Schlüsselszene stößt David aus Wut über ihre Kaufsucht ihre mannsgroßen Teddybären um, die bis dahin, rosig wie ihr eigenes Kleidchen, als Staffage die Bühne bevölkert haben, und reißt sie damit auch aus ihrer rosaroten Mädchenwelt. Und in ihrem Schlußmonolog über ihre frühe Liebe

Maresa Lühle - Foto © Sonja Rothweiler
zu David, noch fern von jedem Materialismus, wird sie - im Kontrast zu all den Spielchen und Gemeinheiten um sie herum - endgültig zur (einzigen) Sympathieträgerin des Abends: Maresa Lühle ist ein verplaudertes Glücksschweinchen, das mit rührender Bestimmtheit den Nachweis erbringt, daß das Leben wegen der „kosmologischen Konstante“ doch einen Sinn hat.
 
Nach den Variationen über den Kapitalismus im Allgemeinen schließt die Inszenierung so mit einem individuellen Schicksal. Und das wirkt umso stärker, weil am Ende des Stücks wegen der zeitlichen Umkehrung ja schon bekannt ist, wie diese in sich ruhende junge Frau („Ich bin einfach so zuversichtlich“) einmal enden wird. Erst damit gewinnt übrigens Dennis Kellys Erzählen im Krebsgang so recht eine dramatische Relevanz – statt nur Verwirrung zu stiften.
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de

Redaktion: Frank Becker