Jai Mamám, Bruderherz, ich kauf mir die Welt...

Emmerich Kálmáns "Die Csardasfürstin" im Aalto-Theater Essen

von Jan Ochalski
... und man vergißt sein Alter
 
Die Csardasfürstin
Wiederaufnahme 24. Oktober 2010
 
Alle sind wir Falter, und man vergißt sein Alter... Auch die totgesagte Operette, die „auf Abwege geratene Tochter der Oper“ (Saint-Saëns), scheint ihr Alter zu vergessen und hört sich frisch und jung an, wenn sie am Aalto-Theater Essen aufgeführt wird. Tausend kleine Engel singen... Drei Tage nach dem Vorstellungsbesuch verfolgen mich die Ohrwürmer immer noch. Sobald der eine verstummt, kommt der nächste, und noch wieder einer und wieder. Kaum zu ertragen. Jai Mamám, Bruderherz, ich kauf mir die Welt...
 
Ohrwürmer

Für die Menschen, die ihre runden Geburtstage jenseits von 50 hinter sich haben – und das ist ein großer Teil des Publikums bei der Wiederaufnahme von Kálmáns „Die Csárdásfürstin“ am Aalto-Theater – sind das alles bekannte Motive, auch wenn sie nicht unbedingt mit Kálmán und Csárdásfürstin assoziiert werden. Irgendwann irgendwo hat man sie gehört, im Radio, in der Werbung, in Parodien, Wunschkonzerten, entsetzlich entstellt in populären Musikantensendungen. Diese Musik hat einen hohen Wiedererkennungswert. Es sind Motive, die kleben bleiben. Die Melodieführung ist einfach, die Harmonie für einen Laien leicht nachvollziehbar, die Refrains prägen sich schnell ein. Dazu ein paar Schlagworte. Leicht zum Nach- und Mitsingen. Kaum hörbar summt das Publikum im Saal mit. Machen wir´s den Schwalben nach, baun wir uns ein Nest... Wenn es nicht die Erhabenheit des Opernhauses, sondern die gemütliche häusliche Sofaecke wäre, würden sie ohne Hemmungen laut loslegen.


Foto © Harald Reusmann
 
Das Orchester unter der Leitung von Stefan Soltesz beweist die gleiche Perfektion wie bei Werken von Alban Berg, Puccini oder Strauss. Aber hier, bei Emmerich Kálmán, hört man deutlich auch heraus, daß hier ein gebürtiger Ungar und später Wahlwiener vom Pult aus regiert. Das sitzt. Die Musiker spielen mit Freude, ja mit Humor. Und doch klingt in dieser Musik, in dieser Interpretation ein weit entferntes Echo der bitter-heiteren Dekadenz und Nostalgie der untergehenden k.u.k. Monarchie.
Michael Sturminger (Regie) hat die Handlung der Operette in die Zeit der Naziherrschaft verlegt. Die vom Fürstensohn und Wehrmachtsoffizier Edwin geliebte Silva Varescu ist nicht nur eine Varieté-Künstlerin, sie ist eine Jüdin. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, daß es sich – wie in der Originalfassung – um eine simpel gestrickte Geschichte einer Mesalliance mit Happy End handelt. Nennen wir es Aschenputtel-Syndrom, sagt meine Nachbarin: Liebe zwischen Repräsentanten zweier nicht kompatibler Gesellschaftsgruppen. Für die eine ist es der Reiz der verbotenen Früchte, für die andere ein Weg zum geträumten Glück? Möglich.
 
Gelungene Inszenierung

Interessant an der Inszenierung ist die szenisch gelungene Darstellung zweier Welten: Ein schummriges Budapester Varieté-Theater mit abblätterndem Glanz der ehemaligen Zweitmetropole, mit schrägen Menschentypen, die ihre Lage mit einer resignierten und dennoch heiteren Gelassenheit hinnehmen. Und an der anderen Seite der Wiener Salon mit Adligen, die weder richtige Mitläufer noch Nazi-Gegner sind. Es sind nur Marionetten in prunkvollen Kostümen. Ihre Welt ist eine Operette. Wenn nicht die Grausamkeit der Wirklichkeit wäre. Eine Parodie daraus zu machen ist schwer und riskant, der Schuß kann auch nach hinten losgehen. Wenn ein SS-Mann auf der Bühne (Mark Weigel als Eugen von Rohnsdorff) einen Witz über H. und Kálmán erzählt, verpufft die Wirkung. Das Publikum bleibt steif, Weigel muß allein über den Witz lachen. Wird es still, weil die Satire in der Oper für ernst

Foto © Harald Reusmann
gehalten wird? Gehört das Lachen, eine der besten Waffen gegen Dummheit, nicht in die Oper?
 
Glänzende Stimmen

Glänzend vom ganzen Ensemble unterstützt brillieren auf dem Parkett eine sichere und selbstbewußte Bea Robein als Sylva Varescu, Thomas Piffka als Edwin, Günther Kiefer als Feri Bácsi und – mit Esprit und Leichtigkeit - Francesca Devos als Komtesse Stasi. Schade nur, daß die Dialoge auffallend unnatürlich gesprochen werden, als müßten die Sänger dem Publikum laut, langsam und deutlich die triviale Handlung erklären. Sie brechen stark aus der Illusion heraus, und dann ist es ein schlechtes Theater.
Sonst, Jai Mamám, Bruderherz, ich kauf mir die Welt... Aber noch besser eine Eintrittskarte, solange noch welche frei sind. Wer diese Musikgattung mag, soll sich die Essener Produktion unbedingt ansehen.
 
Weitere Vorstellungen: 7. November 2010, 13. Januar, 4. Februar, 7. und 19. Mai 2011
Informationen unter: www.theater-essen.de
Fotos: Harald Reusmann