André Kertész - Eine Monografie

Die große Kertész- Ausstellung zeigt nach Paris in Winterthur, Berlin und Budapest das Werk des Fotografen

von Frank Becker

© Hatje Cantz
André Kertész

Der Ungar André Kertész (*1894 in Budapest - 1985 in New York) gehört wohl neben Legenden wie Ansel Adams, Ferenc Berko, Alfred Stieglitz, Elliot Erwitt, Fritz Kühn, Leonard Freed, Abisag Tüllmann, Raoul Hausmann, Imogen Cunningham und Paul Outerbridge (das ist natürlich nur eine Auswahl) zu den größten und einflußreichsten Fotokünstlern des fortwirkenden 20. Jahrhunderts. Seine Arbeiten sind abgesehen von ihrem unersetzlichen zeitkoloristischen Informationswert und ihrer künstlerischen Ästhetik Dokumente einer Epoche und durch das Auge des Künstlers "zurück" betrachtet, auch Portrait der Gedanken- und Gefühlswelt eines außergewöhnlichen Fotografen. Ein Großteil seiner in Schwarz-Weiß oder in Duotone gemachten Aufnahmen sind Teil der fotografischen Ikonographie seines Jahrhunderts geworden.

Der Kern von André Kertész´ Schaffen

André Kertész - The Fork, 1928

Noch bis zum 6. Februar 2011 zeigt das Museum Jeu de Paume in Paris eine von Michel Frizot und Annie-Laure Wanaverbecq kuratierte Ausstellung zum Lebenswerk von André Kertész, die in Umfang, Auswahl und Kommentierung die große Kertész-Ausstellung im Pariser Musée Jacquemart-André der Jahreswende 1987/88, zwei Jahre nach seinem Tod, bei weitem übertrifft. In der Ästhetik der ausgewählten Bilder - die sich in einigen Exponaten naturgemäß überschneidet - jedoch ergänzen sich die beiden Präsentationen. Ein Glückspilz, wer beide Kataloge hat - er verfügt über den Kern von André Kertész´ Schaffen.

Menschenbilder

Die Kuratoren, zugleich Autoren des wunderbaren großformatigen Katalog-Bandes, der den Rang

André Kertész - Washington Square, 1954
einer Monografie durchaus verdient hat, heben Kertész dankenswerterweise nicht auf einen hohen Sockel, sondern räumen ihm in ihrem Vorwort den Platz ein, auf dem er sich selbst gesehen hat: Als "der ewige Amateur", der gleichzeitig eine enorme Virtuosität an den Tag gelegt hat. In einleitenden und zwischen die thematisch geordneten Foto-Kapitel gestellten Essays vermitteln ein auch dem Laien zugängliches tiefes Verständnis für die fotografische Arbeit und die Gedankenwelt Kertész´. Zeitschriften-Dokumente zeigen ausführlich die Einbindung des Fotografen ins Tagesgeschäft der fotojournalistischen Praxis - ein interessanter Aspekt, der in anderen Fällen solcher Präsentationen oft vernachlässigt wird. Seine New Yorker und vor allem die Pariser Studien sind faszinierend zusammengestellt - sie zeigen neben den berühmten Park- und Straßenszenen und den wegweisenden Stilleben auch Kertész´ Foto-Experimente mit Verzerrungen. Namenlose Passanten, Menschen des Alltags nehmen in seinen fotografischen Skizzen der Wirklichkeit den maßgeblichen Raum ein, wenn er auch wenige rare Selbstportraits mit Elisabeth und solche von z. B. Alexander Calder, Piet Mondrian und Sergei M. Eisenstein gemacht hat.

Im Lidschlag der Momentaufnahme

Der Band bietet einen tiefen und umfassenden Blick in die Welt und die Werkstatt des begnadeten
 
André Kertész - Lost Cloud, 1937
Fotografen. Selbstverständlich sind einige seiner "Klassiker" in die Auswahl aufgenommen worden: "Budapest", 1914, "Die Gabel", Paris 1928, "Paul Armas Hände" 1928, "Place de la Concorde", Paris 1928, "Die verlorene Wolke", New York 1937, "Washington Square", New York 1954 oder "Regentag", Tokio 1968. Sehr oft ist es der heimliche Blick von oben, will sagen aus hoch gelegenen Fenstern oder der höchsten Stufe von Treppen - kein abgehobener Blick, sondern einer, der im Lidschlag der Momentaufnahme das Wesentliche einer sich stets wiederholenden Situation, der Normalität festhält. Bewegung gerinnt zum Gemälte, Stillstand zu Ewigkeit. Man kann sich in dieser reichhaltigen und fundiert erklärten Auswahl regelrecht verlieren, die Zeit und die Welt um sich herum völlig vergessen und in André Kertész´ Welt eintauchen. Wer die Gelegenheit dazu findet, eine Station der Ausstellungs-Tournee zu erreichen, sollte es tun - einen solch aufschlußreichen Einstieg in Werk und Welt des André Kertész wird man so bald nicht wieder finden. Das Buch dazu ist jedem dringend zu empfehlen, der sich mehr als nur schauend André Kertész nähern will. 

Fotos im Text © The André and Elizabeth Kertész Foundation, New York  und  Estate of André Kertész, New York








André Kertész - Regentag 1968


Die Stationen der Ausstellung
Noch bis zum
6. Februar 2011 Museum Jeu de Paume in Paris .
Die Ausstellung "André Kertész" wird anschließend vom 26. Februar bis zum 15. Mai 2011 im Fotomuseum Winterthur/Schweiz, vom 11. Juni - 11. September 2011 im Martin Gropius-Bau/Berlin und vom 30. September - 31. Dezember 2011 im Magyar Múzeum Budapest/Ungarn zu sehen sein.



Katalog / Monografie:
Michel Frizot / Annie-Laure Wanaverbecq: "André Kertész"
Umfassende Monografie zum Werk des ungarischen Fotografen
Gestaltung von Julien Boitias
© 2010 Éditions Hazan / éditions de Jeu de Paume / Hatje Cantz Verlag
360 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 32 x 26 cm
544 Abb. in s/w und Duotone, wenige farbig - ISBN 978-3-7757-2630-6
€ 49,80 | CHF 69,90

Weitere Informationen unter:
www.hatjecantz.de