Heute schon Betel gekaut?

Eine zwiespältige Erfahrung

von Frank Becker

Betelnußverpackung

Heute schon Betel gekaut?


Ein kurioses Taiwan-Streiflicht: Entlang der Ein- bzw. Ausfallstraßen der Städte Taiwans reihen sich in großer Zahl wie Aquarien kleine Plexi-gläserne, auf Stelzen gestellte Kästen mit Werbetafeln, schreienden Neonschriften und flackerndem Lichtfeuerwerk, in denen „Girls“ in bisweilen sehr knappen Bikinis auf ihre Kundschaft warten. Nicht was sie jetzt vielleicht in einem Anflug moralischer Empörung denken könnten: Nein, nein, feil geboten werden dort nicht die Kurven der Schönen, sondern weiter nichts als bunt verpackte Betelnüsse, stehen im Angebot. An den Kiosken, denn nichts anderes sind die Plexiglaskästen mit dem knusprigen Inhalt, sind auch Mineralwasser und andere kleine Erfrischungen zu kaufen – aber wirklich nicht die Mädchen, versichert der chinesische Fremdenführer. Und lächelt.


Foto © Frank Becker

Eigentümliches Wohlbehagen...

Vor allem von Lkw-Fahrern werden diese beliebten mit Betelpfeffer und gebranntem Kalk versetzten Früchte der Betelnußpalme (Areca) unterwegs gekaut, weil sie eine Art aufputschende Wirkung haben sollen, erfährt man. Damit – so heißt es – erhöht sich auf langen Strecken die Aufmerksamkeit des Fahrers. Der Meyer, 6. Auflage 1904 weiß: „Die gerbsäurereiche Arkeanuß wird in Stückchen zerschlagen und in Betelblätter, deren eine Seite mit Kalkbrei bestrichen ist, eingehüllt. Das Betelkauen ist ein uralter Gebrauch (...) und wird mit großer Leidenschaft betrieben. Es verursacht aromatisch bitterlich-herben Geschmack, starken Speichelfluß, färbt Lippen und Zahnfleisch braunrot, die Zähne schwarz, erzeugt angenehmen Geruch des Atems, befördert den Appetit, begünstigt die Ernährung und erzeugt ein eigentümliches Wohlbehagen, gute Laune und Anregung, und zwar, wie es scheint, ohne andre Nachteile, als daß die Betelkauer Sklaven ihrer Leidenschaft werden.“

Erhöhte Aufmerksamkeit


Foto © Frank Becker

Zunächst aber einmal erhöhen die Nuß-Verkäuferinnen die Aufmerksamkeit, den Blutdruck und den Betelnuß-Kaufwunsch - und je weniger sie anhaben, desto höher ist der Umsatz. Das Ausstellen der Leichtgeschürzten ist nichts weiter als die Fortsetzung der Neonreklame mit anderen Mitteln. Der Wagen fährt vor, die Dämchen trippeln flugs die Stufen hinunter, neigen sich tief ins Wageninnere – und nehmen fröhlich zwitschernd und lächelnd die Bestellung auf. Damit sind die Mädels im Laufe der Zeit sogar zu einer touristischen Attraktion für Reisegruppen geworden, die eigens anhalten, damit Japaner, Deutsche oder Amerikaner dieses pikante Kuriosum fotografieren können. Natürlich habe ich auch angehalten, selbstverständlich nur, um Betelnüsse zu kaufen – scheußliches Zeug! Schmeckt wie Seife, färbt wirklich Mund und Speichel rot und kann für den Mitteleuropäer nur ein Vorwand sein, sich die taiwanischen Deerns mal aus der Nähe anzusehen...