Musikstunde

Eine kleine Plauderei über Dirigenten und Kartoffeln

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde
 
Eine kleine Plauderei
über Dirigenten und Kartoffeln


 
 
Hallo und einen schönen guten Morgen, liebe Freunde meiner musikalischen Plaudereien hier in den Musenblättern. - Schön, daß Sie hier sind und nicht in den Herbstferien, wo es doch heuer sogar zwei Wochen davon gibt und sich das Wegfahren lohnt. Wir hatten ja höchstens ein paar Tage im Herbst, im Rheinland nannte man das „Kartoffelferien“, weil die Kinder frei bekamen, um den Bauern bei der Lese zu helfen. Frank Becker, der Redakteur der Musenblätter, erzählte von den Kartoffelferien, daß man fünf (5!) Mark am Tag bekam und mittags Brote mit Schichtkäse und Rübenkraut drauf und dazu Milch-Muckefuck. Und heute: am Strand chillen mit i-pod im Ohr, Sonne auf der Haut und Sex on the beach in der Hand, nein, - das ist ein Cocktail aus Cranberry Saft, Vodka und Sprite.
 
Sie sind also so avantgardistisch drauf, daß Sie zu Hause sind? Das ist ja wunderbar! Dann können wir uns ja mal ganz gepflegt hinsetzen und uns ein bißchen einer Spezies von Musikern annehmen, ohne die es anscheinend keine Aufführung gibt, wenn da mehr als acht oder zehn Musiker spielen, und die in den letzten 100 Jahren eine derartige PR für sich hat machen können, daß man meint, ihre Vertreter seien wichtiger als die Komponisten. Ich meine natürlich: die Dirigenten. Der Personenkult, der seit ca. Mitte des 19. Jahrhunderts um die Dirigenten getrieben wurde, ist beispiellos und funktioniert bis heute. Von Felix Mottl über Herbert von Karajan, Sir Simon Rattle bis hin zu Gustavo Dudamel – der Dirigentenberuf hat ein Charisma, das nur noch mit Pop-Größen und Ikonen der Leinwand zu vergleichen ist. Und oft genug ist der Glanz aufgetragen, die Lackschicht dünn und bei genauerem Hinsehen, nein Hinhören, blättert vieles ab, manchmal auch alles. Mögen Sie z.B. die Tempi, die Kent Nagano gerne nimmt? Mozart im Windkanal quasi? Ich nicht. Oder haben Sie die Aufführung vom Fidelio bei den Osterfestspielen in Salzburg 2003 gesehen oder gehört, wo einem Sir Simon Rattle klar gemacht hat, daß einer im Konzertsaal zu den Großen gehören und dennoch von Opern dirigieren und Stimmenführen keine Ahnung haben kann? Eine Stimme ist eine Stimme und kein Instrument, bei dem die Luft aus Steckdose und Kompressor kommt, also bitte! Da schlägt, Sie merken das natürlich schon, mein Herz immer für die Sängerinnen und Sänger und das ist einer der Gründe, warum ich dem Regietheater recht kritisch gegenüberstehe: Sänger sollen singen, finde ich, und müssen nicht auf der Bühne herumlaufen bis das Gebet im zweiten Akt der Forza del destino z.B. zum gehechelten Stoßgebet wird. Na, hätte die Callas so singen können wie sie sang, wenn sie vorher noch vor dem Kloster hin und her rennen hätte müssen? Also bitte.
 
Hier: Dirigenten, da waren wir dran. Felix Mottl war einer der ersten Superstars auf diesem Gebiet. Er war von 1880 bis 1904 Chef der Badischen Staatskapelle in Karlsruhe und brachte der Stadt den Ruf ein, Klein-Bayreuth zu sein. Er war der Anlaß zu einer Anekdote, die zum goldenen Schatzkästlein er Orchesteranekdoten gehört: Probe der Badischen Staatskapelle unter Felix Mottl. Irgendwas von Brahms. Man spielt, er klopft ab und sagt zum Fagott: (weanerisch, er kam aus Unter St. Veith bei Wien! )
„Das müssen Sie unbedingt leiser spielen, bitte“. Es geht von Neuem los, er klopft wieder ab und sagt zum Fagott: „Ich meinte: leiser! Bitte!“ und noch mal von vorn. Und wieder bricht er ab und sagt, jetzt deutlich genervt: „Ja mein Gott, ich sagte doch: leiser! Können’S das denn nicht?“
Da sagt der Fagottist: „Wenn ich des könnt, Herr Mottl, dann wär ich nicht in Karlsruh’!“.
Mottl erlitt mitten in seiner 100. Aufführung von Tristan und Isolde am 21. Juni 1911 einen Zusammenbruch, wie auch Joseph Keilberth 1968. Mottl starb am 2. Juli, ein paar Tage danach. Der Wunschtod vieler Künstler! Aus seiner ersten Ehe stammte sein Sohn Wolfgang Mottl, der als Pionier der Kartoffelzucht in ganz Europa bekannt und berühmt wurde. Womit sich der Bogen zu den Kartoffelferien schlägt. Und sein jüngster Sohn Dr. Felix Mottl war als Oberstaatsanwalt beim Bayerischen Obersten Landesgericht mindestens ebenso bekannt wie als langjähriger Präsident der Deutschen Verkehrswacht. Ich meine damit: man muß nicht unbedingt am Pult vor einem Orchester stehen, um bekannt zu werden. Ob der Opa allerdings auf seinen Kartoffelkopf stolz gewesen wäre oder auf den Enkel bei der Verkehrswacht – wer weiß!
 
Noch ein paar schöne Ferientage daheim – auch (oder gerade weil) wenn es jetzt draußen ungemütlich wird und wir uns mit schöner Musik aus der Konserve einigeln.
 
Herzlichst
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker