Musikstunde

Eine Plauderei über den Tenor Anton Raaff und seine Zeit (1)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde
 
Eine Plauderei über den Tenor
Anton Raaff und seine Zeit (1)

 

Guten Morgen liebe Freunde – haben Sie auch schon die Heizung aufgedreht? Ich hab, sonst hätte ich Ihnen mit klammen Fingern schreiben müssen. Jetzt hat er uns also, der Herbst.

Heute nun also zum Anton Raaff, auf den ich Sie hoffentlich in der vergangenen Woche so richtig neugierig gemacht habe. Und weil es über diesen Herrn so viel zu erzählen gibt und ich Sie nicht überfüttern möchte, bekommen Sie seine Geschichte in Kapitelchen serviert. Sagen wir mal drei. Heute Kapitel 1.
 
Er lebte vom 6. Mai.1714 bis zum 28. Mai.1797, wurde also gediegene 83 Jahre alt und war der größte Tenor seiner Zeit – neben Farinelli war er der europäische Superstar und die beiden waren obendrein auch engste Freunde - und da beide nicht schwul waren, konnten sie völlig unberührt von etwaigen Beschadetheiten ihre Freundschaft leben. Anton Raaff wurde ein paar Kilometer von meiner Wohnung entfernt geboren, in Gelsdorf bei Bonn, das ist direkt beim Autobahnkreuz Meckenheim, das es damals allerdings noch nicht gegeben hat. Es ist übrigens nur ein paar hundert Meter weg von Fritzdorf, das ist der Ort, von dem einige Forscher meinen, daß dort Hagen den Schatz der Nibelungen verbuddelt habe, deshalb gehe ich nie ohne Schäufelchen raus, man weiß ja nie...! Weil wir Anton Raaff den Mozartschen Idomeneo verdanken und die Begegnung dieser beiden und ihre Zusammenarbeit wirklich spannend ist, möchte ich Ihnen heute ein bißchen davon erzählen.
 
Es war eine gut gestellte Familie, die Familie Raaff, sicher galt Antons Vater als Gutsverwalter auf Burg Gudenau als ”ein feiner Mann”, dergestalt, daß man es sich leisten konnte (und auch vom Bildungsanspruch her leisten wollte), dä Tünn noh Bonn nohm Jesuitengymnasium zu schicken. Dort wirkte der 13-jährige übrigens in der Rolle der ”Innocentia”, der Unschuld, im Jesuitendrama ”Leonis Basilii Imperatoris filius” mit, wo ihn wahrscheinlich der große Wittelsbacher Kurfürst in Bonn, Clemens August, der damals 27 Jahre alt war, gesehen hat. Ob er ihn wegen dieses ersten Eindrucks später so vehement gefördert hat, ist allerdings unwahrscheinlich, war ja Schauspielerei zu keinem Zeitpunkt seines Lebens Raaff’s Stärke.
Ejal, jedenfalls studiert der Jung brav (auch Musik, das war damals üblich) und wird Sekretär und Haushofmeister auf Burg Gudenau, noch keine 20 Jahre alt. Jetzt wäre sicher jeder andere Gelsdorfer Jung mit dieser Karriere schon hochzufrieden gewesen, hätte vielleicht die KG ”Gelsdorfer Nejerköpp” gegründet, im Kirchenchor gesungen und ein paar Kinder gezeugt, fertig ist die Laube. Nicht so Anton Raaff.
 
Sein Arbeitgeber, Max Heinrich Freiherr Waldbott von Bassenheim zu Gudenau, veranstaltet Kammermusikabende, bei denen Raaf als stimmliches Naturtalent des öfteren mitwirkt, was den Freiherrn Waldbott (klingt wie Magenbitter, ne?!) von Bassenheim so begeistert haben muß, daß er Raaff dem Kurfürsten vorstellte und damit endgültig die Weichen im Leben des rheinischen Caruso stellte. Raaff wird am 10. September 1736, mit 22 Jahren also, Cammermusicus am Hofe von Clemens August mit 200 Talern Jahresgehalt.
Jetzt geht’s steil nach oben. Schon drei Monate später nimmt ihn Clemens August nach München mit - er war ja der letzte ‘rheinische’ Wittelsbacher -, wo Raaff aushilfsweise die Titelpartie in der Oper ‘Demofoonte’ von Ferandini - Text von Metastasio - sang, was so gut geklappt haben muß, daß jetzt auch Raaff selbst an sein Talent zu glauben anfing. Zwar wollte er immer schon Priester werden (da haben die Jesuiten gründliche Erziehungsarbeit geleistet), aber glücklicherweise schob er das nochmal auf und entschloß sich, eine gediegene Gesangsausbildung zu machen, vielleicht auch, weil er wußte, daß es einem Priester auch gut ansteht, ordentlich singen zu können. Jedenfalls: er kleckert nicht, er klotzt. Er geht nach Bologna, einer der musikalischen Hochburgen, und dort gleich zu Antonio Bernacchi, dem berühmten Kastraten und einem der bekanntesten Gesangslehrer seiner Zeit.
Bei Bernacchi hat er zunächst mal Auftrittverbot, um ungestört für die Hohe Schule des Gesanges gerüstet werden zu können. Von 1737 bis 1742 dauert diese Ausbildung, - in der er übrigens den legendären Padre Martini kennenlernt, den musikalischen Nestor eines ganzen Jahrhunderts, dem er lebenslang freundschaftlich verbunden bleibt -, gegen Ende durch einige - allerdings spektakuläre - Auftritte in Florenz und Venedig unterbrochen.
 
Dann kommt dä Jung nach Haus zurück, zu Clemens August und wird vorgezeigt: bei der Kaiserkrönung Karls VII., dem Bruder von Clemens August, darf er in Frankfurt singen, mit den herumreisenden Opernstars teilt er sich die Bühne und singt übrigens auch mit Ludwig van Beethoven, dem Großvater und damals Tenor, bevor er kurfürstlicher Capellmeister wurde. Ab da beginnt die europäische Karriere: Er geht zu Maria Theresia nach Wien, wo er Opern von Jomelli uraufführt, und von 1750 bis 1752 ‘tourt’ unser Barock-Pavarotti durch Italien. Erfolge über Erfolge darf er verzeichnen, wenn auch der große Dichter Metastasio (einer der produktivsten Opernlibrettisten aller Zeiten) über ihn schreibt: ”un tedesco nominato Raaff eccellentissimo cantore ma freddissimo rappresentante”.
Aber ich bitte Sie, mein lieber Metastasio, muß denn ein kleiner rheinischer Jung aus Gelsdorf auch noch spille künne wenn er schon singen kann wie eine junge Gott? Also dann!
1752 folgt er dem Ruf des Königs von Portugal und reist nach Lissabon. Reist? Geritten ist er die ganze Strecke, mit einem Freund, und als er gegen Mittag in Lissabon ankam (ich vermute mal nach mehreren Wochen und mit steifem Rücken), mußte er abends schon am Hofe ein Konzert geben!
Nach drei Jahren verließ Raaff Lissabon ”mit dem Versprechen wiederzukommen, aber mit dem festen Entschluß, nie wieder dieses Land zu betreten” (wie die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung schrieb) und ging nach Madrid an die dortige Oper zu Carlo Broschi, besser bekannt unter dem Namen Farinelli.  
 
Über Farinelli und die Freundschaft der beiden demnächst an dieser Stelle. Bis nächsten Dienstag also zu unserer Plauderstunde mit der Fortsetzung der Geschichte Anton Raaffs – und bleiben Sie mir gewogen!
 
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker