Primat der Fläche, Fest der Farben
Pierre Bonnard in einer glanzvollen Werkschau in Wuppertal
Gegensätzliche Bewertungen
Picasso hat seine Malerei als „Potpourri der Unentschiedenheit“ abqualifiziert, Matisse hingegen, mit dem er befreundet war, hat ihn als „großen Maler … für die Gegenwart und ganz gewiß auch für die
Le Dejeuner - Paris Musee Moderne |
Zukunft“ gewürdigt: Pierre Bonnard (1867–1947), dem das Wuppertaler Von der Heydt-Museum vom 14. September 2010 bis zum 30. Januar 2011 eine repräsentative Werkschau ausrichtet. Wenn er nun, mehr als sechzig Jahre nach seinem Tod, in einer offiziellen Verlautbarung des Museums als „Geheimtip für Liebhaber“ hingestellt wird, ist das natürlich stark übertrieben. Denn Bonnard ist in der Kunstgeschichte seit langem eine feste Größe, auch wenn er nie die Popularität eines Monet erreichen konnte, der ja in der Bergischen Metropole erst in jüngster Vergangenheit sämtliche Besucherrekorde gebrochen hat. Das mag damit zusammenhängen, daß er bei aller künstlerischen Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit kein „Revolutionär“ war (wie der eine Generation ältere Monet) und daß sein Beitrag zur Moderne weitaus weniger radikal gewesen ist als jener des fast gleichaltrigen Kandinsky oder des anderthalb Jahrzehnte jüngeren Picasso – um nur zwei Beispiele zu nennen. 1933 sprach er alternde Bonnard selbstkritisch von der „unzeitgemäßen Leidenschaft für die Malerei“, und zwar für eine Malerei, die – wie er kurz vor seinem Tode bemerkte – „niemals auf die Natur verzichten kann.“ Daß sich Museumskuratoren heute einem Vollblutmaler wie Bonnard zuwenden, mag mit dem seit geraumer Zeit anhaltenden Interesse an gegenständlicher Malerei zusammenhängen, aber auch mit der Tatsache, daß Bonnard in dem Sinne „modern“ war, als er trotz aller Bindung an den Gegenstand Malerei letztlich als Malerei betrieb und nicht als Abbild von etwas oder als Symbol für etwas.
Überwindung des Impressionismus
Bonnards Karriere als Künstler ist erstaunlich. Noch während seines Jurastudiums, das er mit sehr gutem Erfolg absolvierte, begann er 1887 an der privaten Académie Julien in Paris Kunst zu studieren, 1889 wechselte er an die Pariser Ecole des Beaux-Arts. Nachhaltiger als die
Lampenschirm 1907
Foto © Frank Becker
|
akademische Ausbildung waren allerdings ganz andere Einflüsse, nämlich die künstlerischen Lehren Paul Gauguins, die Bildwelt des japanischen Farbholzschnitts und die Ende des 19. Jahrhunderts sich etablierende Amateurfotografie. Einer seiner Mitstudenten an der Académie Julien, Paul Sérusier, hatte 1888 im bretonischen Künstlerdorf Pont-Aven ein Bild „nach Anweisung von Gauguin“ gemalt und dort dessen bildnerisches Konzept der „ebenen Fläche“ kennengelernt. Danach ist ein Gemälde „vor allem eine plane, in einer bestimmten Anordnung mit Farben bedeckte Oberfläche“ (Maurice Denis). An die Stelle der für den Impressionismus typischen Wiedergabe flüchtiger Wahrnehmungseindrücke und der damit einhergehenden Tendenz zur Formauflösung traten einheitliche, von schwarzen Konturen umrandete Farbflächen (Cloisonnismus). Zurück in Paris, machte Sérusier seine Malerfreunde mit Gauguins Ideen bekannt. Es kam zur Gründung der Künstlergruppe der „Nabis“, was hebräisch „Propheten“ heißt, durch Paul Sérusier, Maurice Denis, Edouard Vuillard, Pierre Bonnard und andere. Schon der Name signalisierte einen spezifischen Anspruch, nämlich Künder einer neuartigen Kunstauffassung zu sein, die zwar auf dem Impressionismus aufbaute, diesen zugleich aber auch überwand. Die dezidierte Flächenhaftigkeit wurde nicht nur aus den Ideen Gauguins gespeist, sondern stand auch mit dem sog. Japonismus in Verbindung. Gemeint ist der seit den Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts vor allem in Frankreich wirksame Einfluß des japanischen Farbholzschnitts auf das Schaffen zahlreicher avantgardistischer Künstler – von Manet und Degas bis hin zu Vincent van Gogh. Bemerkbar machte sich dieser Einfluß in einer flächenbetonten Formensprache, in einem „unklassischen“, die Asymmetrie bevorzugenden Bildaufbau und in gleichsam schnappschußartig wirkenden Ausschnitten. Insbesondere die häufig brutal angeschnittenen Figuren deuten aber noch auf eine andere wichtige Inspirationsquelle hin, nämlich auf die damalige Amateurfotografie, deren Zufälligkeiten (um nicht zu sagen Unzulänglichkeiten) zur Herausbildung einer ganz eigentümlichen Bildästhetik führte. Bonnard selbst hat um die Jahrhundertwende begeistert fotografiert (dazu u.a. das schöne Buch „Pierre Bonnard. Photographe“ von Heilbrun und Néagu, Paris 1987) und die Fotografie als Hilfsmittel bei der Erarbeitung seiner Bilder und Buchillustrationen genutzt. Alles das wird in den Räumen des Von der Heydt-Museums vorbildlich vorgeführt und mit exemplarisch ausgewähltem Material belegt.
Anfänge in der Werbegraphik
Erste durchschlagende Erfolge konnte Bonnard mit Plakaten wie „France-Champagne“ (1891) und
France Champagne - Bibliotheque National |
„La Revue Blanche“ (1894) verbuchen – Vorboten des herannahenden Jugendstils und Vorbilder für das umfangreiche und bahnbrechende Plakatschaffen Henri de Toulouse-Lautrecs. Ohne fürderhin als Plakatkünstler tätig zu sein, überließ Bonnard dieses Feld seinem blaublütigen Kollegen und konzentrierte sich von nun an ganz auf die Malerei. Hier entwickelte und kultivierte er einen Stil, der fälschlicherweise immer wieder als spätimpressionistisch bezeichnet wird (so auch in der aktuellen Ausgabe der auflagenstärksten deutschen Kunstzeitschrift), der tatsächlich aber schwerlich mit dem Impressionismus identifiziert werden kann. Denn im Unterschied zu den spontan – meist plein air – gemalten, skizzenhaft niedergeschriebenen Gemälden der Impressionisten sind Bonnards Bilder streng gebaut, fest gefügt und durchdacht komponiert. In der Regel entstanden weder die Landschaften noch die Interieurs direkt vor Ort, sondern auf der Grundlage knapper zeichnerischer Notate im „Schutzraum“ des Ateliers. Und ganz anders als bei den Impressionisten zeichnete sich die Arbeitsweise Bonnards durch Langsamkeit, Behutsamkeit und Stetigkeit aus. So wird berichtet, daß er an einer südlichen Landschaft – natürlich mit Unterbrechungen – mehrere Jahre lang gearbeitet habe und daß
Nu dans baignoire 1925, Foto © R.K. Wick |
er heimlich noch an Bildern Veränderungen vorgenommen haben soll, die bereits im Museum hingen. Vollkommen unimpressionistisch ist auch die gelegentlich rein flächig-dekorative Behandlung von Stoffmustern, was an die späteren Collagen der Kubisten erinnert, und – auch das wird allgemein dem Kubismus als „Errungenschaft“ zugerechnet – die Annullierung, zumindest aber die Auflösung der klassischen, seit der italienischen Frührenaissance gültigen Zentralperspektive. Zahlreiche Gemälde Bonnards kennen keinen perspektivisch stimmigen Systemraum, sondern vereinen mehrere Stand- und Blickpunkte in einem und demselben Bild. Der Künstler, von dem es kaum theoretische Selbstäußerungen gibt, hat dieses Prinzip der Multiperspektivität bzw. der Simultaneität unterschiedlicher Perspektiven einmal wie folgt erläutert: „Das Auge des Malers … gibt die Dinge wieder, wie das menschliche Auge sie sieht. Und diese Vision ist beweglich, … ist veränderlich…“ Eines jener Bilder in der Wuppertaler Ausstellung, an denen dieses Prinzip besonders deutlich ablesbar ist, ist „Akt in der Badewanne“ von 1925. Hier kommt es zu einem signifikanten Bruch des Raumkontinuums, blickt der Betrachter doch von oben auf die badende Frau und den Teppich, während die am linken Bildrand angeschnittenen Figur im Bademantel und der Stuhl in Normalperspektive dargestellt sind.
Thematische Schwerpunkte
Thematisch kreist das Œuvre Bonnards um einige überschaubare Motivgruppen: Familienszenen, Pariser Straßenszenen, mediterrane Landschaften, Interieurs. Was der Künstler dem Betrachter zu vermitteln scheint, ist eine vermeintlich heile Welt, die von Heiterkeit und Sorglosigkeit gekennzeichnet ist. Abgesehen vom strengen Aufbau dieser Bilder – „alle Kunst ist Komposition: das ist der Schlüssel zu allem“ (Bonnard) – faszinieren sie durch ihre intensive und zugleich delikate Farbigkeit. Bonnard hat sehr genau registriert, wie die Fauves die Farbe zur höchsten Leuchtkraft steigerten. So spielen auch bei ihm kräftige Grün- und Rottöne sowie das Blauviolett und das Orangegelb eine bedeutende Rolle, jedoch nie so grell und schreiend wie bei Matisse, Derain und anderen Fauves, sondern immer fein instrumentiert. Mag der meist fleckartige Farbauftrag eine Nähe zum Impressionismus suggerieren, so ist diese kräftige, über die naturalistischen Farbimpressionenen eines Monet, Renoir oder Sisley hinausführende Farbigkeit ein zusätzliches Indiz dafür, wie sehr sich Bonnard von der „Eindrucksmalerei“ der Impressionisten emanzipieren konnte.
Marthe und das Bad
In der Themengruppe der Interieurs nehmen die Aktgemälde, insbesondere in ihrer spezifischen
Der rote Morgenmantel - Foto © Frank Becker
|
Ausprägung als Badezimmerszene, einen prominenten Platz ein. Im Jahr 1893 hatte Bonnard die vierundzwanzigjährige Maria Boursin, genannte Marthe, kennengelernt. Sie wurde sein bevorzugtes Modell, seine Geliebte, seine Lebensgefährtin und schließlich, 1924, seine Ehefrau. Obwohl er auch mit anderen Modellen zusammenarbeitete, ist es Marthe, die auf den meisten Aktbildern Bonnards zu sehen ist. Da sie an einer Hautkrankheit gelitten haben soll, die tagtägliche mehrstündige Bäder erforderlich machten, möglicherweise aber auch wegen eines Waschzwangs, hielt sie sich häufig im Badezimmer auf. Ohne posieren zu müssen, konnte sie hier von Bonnard in ungezwungenen Haltungen ganz ungestört beobachtet werden – ein Arrangement, das den Künstler zu seinen zahllosen, ein spezifisches Gefühl der Intimität auslösenden Aktbildern inspirierte. Leider ist diese Werkgruppe in Wuppertal sowohl quantitativ als auch qualitativ etwas unterrepräsentiert. So fehlt nicht nur das Bild „Die Träge“ von 1899 (Musée d’Orsay, Paris), eines der sinnlichsten Aktgemälde Bonnards überhaupt, oder der nicht minder sinnliche, lichtüberströmte „Akt im Gegenlicht“ von 1908 (Musées royaux des Beaux-Arts, Brüssel), auch vermißt man manche der typischen Badewannenszenen, die hinsichtlich ihrer radikalen Bildausschnitte Bonnards Modernität dokumentieren.
Derartige Lücken sind zweifellos den Grenzen geschuldet, an die jeder Ausstellungsmacher stößt, der auf Leihgaben angewiesen ist. Umso erfreulicher ist die Tatsache, daß es dem Direktor des Von der Heydt-Museums Gerhard Finckh und dem Kurator Peter Kropmanns sowie ihrem Team gelungen ist, zahlreiche Werke nach Wuppertal holen zu können, die kaum bekannt sind, da sie sich nicht in öffentlichen Sammlungen, sondern in Privatbesitz befinden. Insofern wird die überzeugend inszenierte, schön gehängte Wuppertaler Bonnard-Ausstellung nicht nur die Augenlust eines großen Publikums befriedigen, sondern auch den Erkenntnisdrang einiger Experten stillen.
Brüchiges Paradies
Allgemein gilt die Kunst Bonnards als Ausdruck unbeschwerter Harmonie, heiterer Gelassenheit, ja paradiesischer Glückseligkeit. Ein Blick auf die späten Selbstporträts des Künstlers ist allerdings
Selbstportrait 1930 - Foto © Frank Becker |
durchaus geeignet, dieses Bild zu erschüttern, lassen sie doch etwas von der existentiellen Tragik erahnen, von der auch dieses Künstlerleben nicht ganz frei gewesen ist.
Gleichwohl – die Frage, ob die Kunst Bonnards angesichts der politischen und gesellschaftlichen Realitäten des 20. Jahrhunderts mit seinen Umbrüchen und Katastrophen lediglich Hinweis auf einen fatalen Eskapismus sei und insofern überhaupt als „zeitgemäß“ gelten könne, dürfte sich dem Künstler in dieser Form kaum je gestellt haben. Und aus heutiger Sicht ist es gerade diese Gegenwelt gegen die bestehenden Realitäten, die Bonnards Malerei so anziehend macht und die die Wuppertaler Werkschau mit Sicherheit zu einem großen Publikumserfolg werden lassen wird.
Die Ausstellung
Die großzügig gestaltete Ausstellung präsentiert neben 90 zum Teil sonst selten bis gar nicht zu sehenden Gemälden, 40 Zeichnungen, Plakaten, Photographien u.v.a.m. (180 sind es allein von Bonnard) Werke von u.a. Gustave Caillebotte, Paul Cézanne, Edgar Degas, Katsushika Hokusai, Odilon Redon, Paul Signac, Félix Valloton, Utagawa Hiroshige und Édouard Vuillard. Dazu gibt es einen tiefen Einblick in das Leben des nicht unkomplizierten Pierre Bonnard. Besucher können dem Maler durch einen eigens für die Präsentation an Originalschauplätzen gedrehten Film näher kommen, der während der Ausstellung permanent gezeigt wird. Ein hervorragender Katalog, der die Ausstellung mustergültig begleitet, ist für nur 25,- € zu haben und auch der Film kann für 15,- € an der Kasse erworben werden.
Wandschirm 1897 - Foto © Frank Becker |
Die Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum ist bis 30.1.2011 Di + Mi 11-18 Uhr,
Do + Fr 11-20 Uhr, Sa + So 10-18 Uhr zu sehen
Montags ist das Museum geschlossen
Feiertage:
Heiligabend geschlossen - 1. Feiertag geschlossen - 2. Feiertag 11-18 Uhr
Silvester geschlossen - Neujahr 14-18 Uhr
|