Experimentierfeld Sockel
Eine Skulpturenausstellung der besonderen Art
im Arp Museum Rolandseck Im Jahr 1928 äußerte sich Josef Albers, damals Lehrer am Bauhaus in Dessau und noch nicht gefeiert als der Maler strenger Quadratbilder, über die in seinem Gestaltungsunterricht stattfindenden plastischen Materialübungen aus gefaltetem Papier. Er betonte, daß es entscheidend auf „die Aktivierung der Negativa (der Rest-, Zwischen- und Minuswerte)“ ankomme. Und weiter: „Gleiche Berücksichtigung und Bewertung der Positiva und Negativa läßt nichts ‚übrig’. Wir unterscheiden … nicht mehr tragend und getragen, wir lassen nicht mehr Scheidung zu in dienend und bedient, schmückend und geschmückt. Jedes Element … muß gleichzeitig helfend und geholfen wirksam sein, stützend und gestützt. So schwinden Sockel und Rahmen und damit das Denkmal, das auf einem Übermaß von Unterbau ein Untermaß von Getragenem trägt.“
Diese Bemerkung könnte geradezu als Ariadnefaden durch die Ausstellung „Das Fundament der Kunst“ dienen, die derzeit in Richard Meiers großartigem Erweiterungsbau des Arp Museums in Rolandseck zu besichtigen ist. Denn mit dem Beginn der Moderne verlor der Sockel seine althergebrachte Funktion als Mittel der Hervorhebung, der Bedeutungsverleihung und -steigerung, der Überhöhung und Heroisierung, ja er verschwand zum Teil ganz aus der Kunst, um später in verwandelter Form – als autonomes Gebilde – zurückzukehren. (In Klammern sei angemerkt, daß der Sockel übrigens auch in der Kunstgeschichte überaus stiefmütterlich behandelt wurde, wie
Rodin und die Klassische Moderne
Auguste Rodin war einer jener Bildhauer, die Ende des 19. Jahrhunderts dezidiert mit dem Sockel experimentierten und mit unterschiedlichen Sockelhöhen „spielten“. Daß er seine lebensgroße „Eva“ auf Augenhöhe mit dem Betrachter plazierte, war seinerzeit revolutionär. Und seine Figurengruppe „Die Bürger von Calais“ sollte sich ursprünglich ebenfalls nicht auf einem Sockel erheben, sondern ebenerdig lediglich auf einer rechteckigen Grundplatte, einer Plinthe, stehen, um so die situative Dramatik und menschliche Tragik des Dargestellten unmittelbar erfahrbar zu machen. Man hat dieses Konzept einer sockellosen Darbietung als maßgeblichen Schritt zur „Demokratisierung“ der Kunst interpretiert – ein Konzept, das von den damaligen Stadtvätern allerdings nicht verstanden wurde, sodaß die Gruppe entgegen Rodins Absicht zunächst auf einem Sockel aufgestellt werden mußte (dazu in der Ausstellung ein kleines Bronzemodell), bis sie erst Jahrzehnte später vor dem Rathaus in Calais im ursprünglichen Sinne ohne Sockel plaziert werden konnte.
Spielerischer Umgang
Zahlreiche der in Rolandseck präsentierten Arbeiten verzichten gänzlich auf den Sockel, wie z.B. die Bodenskulpturen von Franz Erhard Walther, oder begnügen sich mit seiner bloßen Andeutung, etwa in Form einer Palette bei Jean Tinguely, eines Holzfasses bei Daniel Spoerri oder eines Baumstumpfes bei Michael Buthe. Besonders interessant sind im Kontext der Ausstellung jene Arbeiten, die das Problem des Sockels in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts explizit
Der Sockel als Kunstobjekt und Bühne
Mit dem Verschwinden des Sockels in der Kunst des 20. Jahrhunderts ging in den letzten Jahrzehnten allerdings auch eine gegenläufige Entwicklung einher, nämlich den Sockel selbst zum Kunstwerk zu erklären. Von dem italienischen Konzept-Künstler Piero Manzoni stammt ein Sockel in der Form eines Pyramidenstumpfs, dessen auf der quadratischen Standfläche applizierte Fußsohlen ursprünglich zur Benutzung aufforderten. Museal abgesperrt, präsentiert sich dieser Sockel indessen mittlerweile als autonomes Kunstobjekt – ganz ähnlich wie der leere Sockel von Marcel Broodthaers, der ihn, dem historischen Beispiel Duchampscher Deklarationspraxis folgend, durch seine bloße Signatur zum Kunstwerk machte.
Daß der leere Sockel aber auch in abwechslungsreicher Weise „bespielbar“ ist, zeigt das Londoner „Fourth Plinth Project“. Es handelt sich um einen frei gebliebenen Sockel aus dem 19. Jahrhundert auf dem Trafalgar Square, der seit einigen Jahren für einen bestimmten Zeitraum von einem ausgewählten Künstler „möbliert“ werden kann. Der vielleicht spektakulärste Beitrag zu diesem Projekt stammt von Antony Gromley, der im Jahr 2009 an hundert Tagen 2400 Engländerinnen und Engländer für jeweils sechzig Minuten auf diesem „vierten Sockel“ als lebendige Statuen agieren bzw. sich selbst inszenieren ließ – jeder für kurze Zeit frei nach Andy Warhol sein eigener Superstar. Mehr Demokratie in der Kunst läßt sich kaum denken.
Ein Besuch dieser anregenden Ausstellung, die zuvor in ähnlicher Form im Städtischen Museum Heilbronn und im Gerhard-Marcks-Haus in Bremen gezeigt wurde, ist ebenso empfehlenswert wie die Lektüre des erkenntnisfördernden Katalogbuches mit sachkundigen und facettenreichen Beiträgen aus der Feder von neun ausgewiesenen Autoren.
Das Fundament der Kunst. Die Skulptur und ihr Sockel seit Auguste Rodin
Bis zum 24. Oktober - dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr Arp Museum Rolandseck, 53424 Remagen
http://www.arpmuseum.org/ Katalogbuch: © 2010 Verlag Edition Braus, 160 S., 200 Bilder, fester Einband - in der Ausstellung € 26,-, im Buchhandel € 35,-
Weitere Informationen unter: www.editionbraus.de Lesen Sie in den Musenblättern auch: Andreas Rehnolt "Der Sockel als Fundment der Kunst" Redaktion: Frank Becker |