Die Butter

von Erwin Grosche

Foto © Bernd Sterzl / www.pixelio.de
Die Butter

D
ie Butter läßt sich am besten im tiefgefrorenen Zustand aus ihrer Verpackung wickeln. So kann man sie als Block ohne große Butterverluste in die Butterdose setzen und die neue Butterzeit ausrufen: Die alte Butter ist tot, es lebe die neue Butter. Nur gelingen solche Übergänge nie reibungslos. Das Alte verläßt nicht kampflos die Bühne, nur weil das junge schon hinter dem Vorhang wartet. Wie erklären wir also der jungen Generation, daß auf dem Platz, wo sie hindrängt, immer noch der Rest der alten Butter auf seine Verwertung wartet? Wie erklären wir ihr, dass sie trotzdem schon streichbereit in der Verpackung auftauen muß, weil höhere Zwänge ihren Einsatz vorbestimmt haben? So entwickelt sich oft der Übergang von der Restverwertung der alten Butter und die Inbeschlagnahme der neuen Butter zu einer spannungsgeladenen Zeit. Die alte Butter pappt noch in der Butterdose, und die neue Butter taut schon vor sich hin. Die Zeit der Jugend ist kurz. Natürlich will die neue Butter etwas erleben, bevor sie ranzig wird. Sie kauert nervös am Rand und drängelt: Papa, mach Platz, tu’s für deinen Schatz. Papa, mach Platz, tu’s für deinen Schatz. Die Konflikte sind vorprogrammiert. Während die alte Zeit gelassen auf ihr Ende wartet, bettelt die neue Zeit schon gefügig und streichzart um ihren Einsatz. Wir dürfen nicht vergessen, daß die neue Butter den Stempel der Haltbarkeit im Nacken hat. Natürlich läßt sich die Butter am besten im tiefgefrorenen Zustand aus ihrer Verpackung wickeln, aber nun braucht man sie schon vor der Krönung. Man stochert in der Butterverpackung herum und zerstört so ihre Idee von einer perfekten Welt und macht sie gefügig für alltägliche, belanglose Aufgaben. Wir sind auf der Welt, um zu dienen, aber erst, nachdem wir die Ideen und die Kraft der Jugend ausgelebt haben, bekommen wir ein Gefühl unserer Verletzlichkeit und unseres Endes. Wir können geben, wenn wir brauchen. Im Grunde braucht man zwei Butterdosen.
 


© Erwin Grosche - Veröffentlichung aus "Die Wirklichkeit und andere Übertreibungen"
(Ardey-Verlag) mit freundlicher Genehmigung