Constanze

von Erwin Grosche
Constanze
 
   Ich war einmal verliebt. Sie hieß Constanze. Ich traf sie in der Fahrschule Hegemann. Sie fiel mir gleich auf, weil sie die einzige Frau unter zwölf Männern war. Es war damals sehr ungewöhn­lich, wenn eine Frau sich für den Beruf des Busfahrers interes­sierte und sich zum Busfahrerführerschein anmeldete. Man hatte damals noch Angst, daß kein Mann in einen Bus einsteigen wür­de, der von einer Frau kutschiert wurde. Frau am Steuer, Aben­teuer. Man hatte Angst, daß eine Frau in einem Bus die Regel, nicht während der Fahrt mit dem Fahrer zu sprechen, selbst brechen würde und so diesem Beruf das Unberührbare und Mys­tische nahm. Frau am Steuer, Ungeheuer.
   Constanze war eine starke Persönlichkeit. Sie rauchte wie ein Schlot. Sie rauchte, wenn man rauchen durfte, und sie rauchte, wenn man nicht rauchen durfte. In der Unterrichtszeit überbrückte sie die Zeit mit Schmollen, bis sie sich wieder in ihre Raucherecke verzog. Sie imponierte mir durch ihre selbstbewußte Art, als wüß­te sie genau, was gut für sie ist. Sie sprach sehr laut und spuckte dauernd auf den Boden. Ich versuchte sie manchmal auf dem Nach­hauseweg zu überholen, aber sie ging zu schnell für mich. Sie erin­nerte mich immer an einen Pfau, der bei aller Geziertheit einen rauen Umgangston pflegte. Constanze war eine Frau zum Pferde­stehlen, ich glaube, sie hätte mich mit einem Schlag umhauen kön­nen, dabei genügte schon ein Blick von ihr, und ich bekam weiche Knie. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich zu dieser Zeit noch nicht geraucht habe, und wenn ich nun schon wieder nicht mehr rauche, so habe ich doch meine Qualmzeit bei allen Vorbehal­ten als eine sehr gesellige und aufregende Zeit in Erinnerung.
   Ich kam mir neben Constanze sehr unauffällig vor, zumal sie mich nie beachtete. Ich war ihr noch nicht mal wert, zu mir »Sag mal >Grütze« zu sagen, um sich dann, wenn ich »Grütze« gesagt hätte, mit einem »Fünf Minuten Stütze« auf mich zu stützen. Sie spielte dieses Spiel immer mit dem dicken Saremba, dem Sohn vom Dachdecker Saremba, der jedesmal dieses Spiel mitmachte, obwohl er wußte, dass er dabei hereingelegt wurde. Ich überlegte, wie ich mich mehr in das Zentrum ihrer Gedanken bringen konnte. Ich wollte Eindruck machen, und dafür war mir jedes Mit­tel recht. Zur gleichen Zeit, als der Grütze-Stütze-Witz angesagt war, kamen auch Streichhölzer in Mode, die man an der Wand an­zünden konnte. In Kinofilmen ratschten zwielichtige Gestalten beim Ausspionieren einer Bank damit über ihre Fußsohlen, was sie letztendlich früher oder später verriet, wenn der Kommissar eins und eins zusammenzählen konnte. Ich war mir sicher, daß Constanze mich mehr beachten würde, wenn ich mich genauso geheimnisvoll und zwielichtig gab wie diese rauchenden Gangstertypen. In einem Zeitungskiosk erstand ich heimlich diese Zauberstäbe und übte damit an Wänden und Schuhsohlen das Entflammen. Es klappte nicht immer, aber was klappt schon im­mer, und außerdem machte das Unberechenbare auch das Helden­hafte dieser Aktion aus. Ich mußte es einfach darauf ankommen lassen.
   Jeden Donnerstag Abend trafen wir uns in der Fahrschule He­gemann und warteten auf die Pause. Endlich standen Constanze und die anderen Raucher um die mit Sand gefüllten Plastikeimer und pafften um die Wette. Ich hielt Abstand zu der Gruppe, be­kam aber alles mit. Herr Hegemann stand neben mir. Er dachte, ich würde ihm gerade zuhören, als er von einem Beinaheunfall berichtete, bei dem ihm jemand die Vorfahrt genommen hatte, ein schrecklich langweiliges Erlebnis, natürlich mit Happy End, welches zum Glück nur ein dauerndes Nicken erforderte, um Aufmerksamkeit vorzutäuschen. Herr Hegemann erzählte ge­rade, wie er aus seinem Auto stieg, um der anderen Verkehrsteil­nehmerin den Marsch zu blasen, als ich ihre magischen Worte hörte: »Hat mal jemand Feuer für mich?« Das war das Zeichen. Das war der Code. Da war meine Chance. Ich hatte Feuer für sie, jetzt kam es darauf an. Ich ließ sofort Herrn Hegemann stehen und brachte mich in das Zentrum ihrer Gedanken. Mit einem Schritt stand ich neben ihr, sie hatte eine Lord im Mund und be­wegte sie hoch und runter, als wollte sie mir das Feuergeben er schweren. Mit einem Seitenblick erfaßte ich, daß trotz meines Einschreitens der dicke Saremba ebenfalls nach Feuer suchte. Ich mußte schnell sein und perfekt. Jetzt mußte jeder Handgriff sit­zen. Ich nahm meine Spezialhölzer aus meinem Parka, öffnete sie wie selbstverständlich, hob meinen rechten Schuh und hielt mich mit einer Hand an ihr fest, um das Gleichgewicht zu halten, sagte dabei: »Sag mal Grütze.« Doch sie sagte nicht »Grütze«, sodaß ich nicht mit einem »Fünf Minuten Stütze« kontern konnte, son­dern nur unglücklich an ihr hing und sie nicht loslassen konnte, ohne zu stürzen, endlich ein Streichholz aus der Schachtel nahm und es mit einem »Ratsch« über die Schuhsohle meiner neuen Leinenschuhe zog und mit ansehen mußte, wie mein Leinenschuh Feuer fing, das ich selbst durch übermäßiges Spucken nicht in den Griff bekam. Ich spuckte und spuckte, und alle starrten auf das Feuer, ohne mir zu helfen, und Constanze murmelte schließlich »Pfütze«, was es nicht einfacher machte.
   Dieses Unglück war im Nachhinein nicht leicht zu verstehen. Ich hatte mich einfach übernommen und hätte eher das tun sollen, was ich am besten kann, warten und zusehen, als mich mit dieser Aktion ins Gespräch zu bringen, aber ich war verliebt und hatte Angst, sie würde es nicht bemerken und mein Leben würde einen anderen Verlauf nehmen, nur weil ich es nicht geschafft hatte, über meinen Schatten zu springen.
   Ich schüttelte also meinen brennenden Schuh ab und konnte ihn mit dem anderen nicht austreten, weil ich damit auf einem Bein um den Flammenherd herumsprang. Ich weiß noch, wie oft ich zu Hause das lässige Anzünden geübt hatte, und nun fingen im Aufenthaltsraum der Fahrschule Hegemann die Gardinen Feuer. Alles, was passierte, war so ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Mir fiel ein, daß Herr Hegemann einen Feuerlöscher hatte, wußte aber in dem Augenblick nicht mehr, wo er hing. Erst als der dicke Saremba aus dem Raum lief, sah ich, daß er davor gestanden hatte. Nun wurde der Feuerlöscher unerreichbar selbst ein Opfer der Flammen.
   Die anderen Kursteilnehmer sahen auch, daß das Feuer uns über den Kopf wachsen wollte. »Herr Hegemann, Herr Hegemann«, schrie ich, »Held des Alltags, unfallerprobter Schwere­nöter, das Feuer hat die Holzwände erreicht.«
   Herr Hegemann fuchtelte nur mit den Armen umher, als wollte er starten und woanders landen, unternahm aber nichts. Wir wuß­ten nicht, was wir tun sollten. Herr Hegemann, der sonst auf alle Fragen eine Antwort hatte, für jedes Problem eine Lösung wußte, war hilflos wie ein Kind und starrte gebannt in das um sich grei­fende Feuer. Es war Constanze, die ihn schließlich aus dem Pau­senpavillon herauszog und das Schlimmste verhütete.
   Ich hatte es geschafft, ich war mit diesem Tag unvergessen in die Gedankenwelt von Constanze eingedrungen, die mich seit dem Tag nicht nur einfach übersah, sondern wie die Pest mied. Was ihr nicht schwer gefallen sein dürfte, weil mir nach dem Abriß des Pausenraumes auf ewig verboten wurde, die Räume der Fahrschule Hege­mann zu betreten.
   Ich habe meine Fahrprüfung in einer Fahr­schule in Minden nachgeholt und wurde vor lauter Herzeleid so zum Streber, daß ich noch heute aus dem damals Gelernten zitie­ren könnte, wenn es nicht für alle so quälend wäre.
   Ich habe Constanze nie wieder gesehen, denke aber manchmal an sie, wenn ich Frauen im Fernsehen dabei beobachte, wie sie sich beim Kugelstoßen abquälen. In der Zeit fing ich auch das Rauchen an, benutzte zum Anzünden aber nur noch gefundene Feuer­zeuge, die zu der Zeit noch massenhaft verloren wurden.



© Erwin Grosche -
Veröffentlichung aus "Lob der Provinz" mit freundlicher Erlaubnis