Sezierte Medizin

Text der Rede zur Vernissage der Ausstellung mit Arbeiten von Hans-Joachim Uthke

von Johannes Vesper

Vernissage Hans-Joachim Uthke im Fabry-Museum Hilden am 03.06.07

Text der Rede von Dr. Johannes Vesper, Wuppertal
mit Bildern von Hans-Joachim Uthke



"Die Ausstellung im Fabry-Museum heißt „Sezierte Medizin“. Die Bilder sind von Hans-Joachim Uthke, den ich in Hilden nicht vorzustellen brauche. Für diejenigen, die ihn noch nicht kennen, folgendes in Kürze: Hans-Joachim Uthke wurde in Westpreußen geboren, kam am Kriegsende mit seiner Familie nach Schleswig-Holstein, wo er mit seinen 3 Geschwistern die frühe Jugend verbrachte. Später veränderte sich sein Vater beruflich und die Familie zog ins Rheinland. Hier blieb Hans-Joachim Uthke bis heute.

Sezierte Medizin: Worum handelt es sich da? Was bedeutet dieser Titel? Hans-Joachim Uthke hat sich in den letzten Jahren mehrfach mit dem Themenbereich Mensch, Seele und Tod auseinandergesetzt: Die Stadt Hilden hat seinen Zyklus  „Alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit“ gekauft. Auch in der von dem berühmten Medizinhistoriker Prof. Schadewald gegründeten Grafik-Sammlung der Heinrich-Heine-Universität hier in der Nachbarschaft finden sich Werke unseres Künstlers zum Thema Mensch und Tod. Diese Thematik lag sozusagen in der Luft, als das Projekt einer weiteren Hans-Joachim-Uthke-Ausstellung im Fabry-Museum, die mit Medizin zu tun haben sollte, vor ca. 3 Jahren  begann, Gestalt anzunehmen. Hans-Joachim Uthke  fing also an zu zeichnen, zu entwerfen, zu ätzen und zu drucken. Das Konzept der Ausstellung entwickelte sich nach und nach und bald wurde klar: Es sollte bei diesem Medizin-Projekt insbesondere auch um das Objekt der

Medizin an sich gehen, nämlich den Patienten. Es sollte um die politischen Verhältnisse, unter denen der Patient heute erkrankt – ich rede von der Gesundheitspolitik - gehen, um die Diagnose und um die im Medizinbetrieb Tätigen, also um Ärzte. Hans-Joachim Uthke ist Bürger, glücklicherweise nur gelegentlich Patient und beobachtet immer scharf. Daß sich dabei bald Scherz, Satire, Ironie, und tiefere Bedeutung mischen  bzw. fröhliche Urständ feiern würden, war zu erwarten.

Eine solche Ausstellung mit medizinischem Thema paßt sehr gut in dieses Museum, denn das Fabry-Museum ist bekanntlich benannt nach dem berühmtesten Sohn der Stadt Hilden Wilhelm Fabry(1560-1634), der hier geboren wurde und zwar nicht zum berühmtesten Arzt, aber doch immerhin zum berühmtesten Wundarzt seiner Zeit in Deutschland avancierte. Damals jedenfalls waren Wundärzte und Bader noch keine richtigen Ärzte. Schon vor der Zeit  des Wundarztes Fabry  begann auch die Beziehung zwischen Medizin, Bildgebung und Sektion. Ein wesentliches Element der Medizin ist die Bildgebung., denken Sie an Röntgenbilder, Computertomopgraphie, Ultraschall und Kernspin, alles moderne Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. - Aber zurück: 1543 publizierte Andreas Vesalius erstmalig seine umfangreichen anatomischen Zeichnungen und das, nachdem er 1536  in Löwen eine öffentliche Sektion durchgeführt hatte. Er stammte auch aus dem Rheinland, genauer gesagt aus Wesel, und wurde mit seinen wunderbaren anatomischen Zeichnungen  der Begründer der wissenschaftlichen Anatomie. Und jetzt sind wir mitten im Thema der Ausstellung. Sie heißt  Sezierte Medizin, wobei bei Hans-Joachim Uthke heute die Medizin selbst seziert wird und zwar mit Hilfe dieser Bilder.


Unsere Tage sind gezählt - Monotypie, Tusche,
Farbstift   51 x 40 cm

Wir sehen Feder-Zeichnungen, Kaltnadelradierungen, Alugraphien - dabei werden Aluminiumplatten als Druckvorlage benutzt - und Collagen. Zeichnen, Ätzen, Drucken, Kleben - damit ist Hans-Joachim Uthke eigentlich immer beschäftigt. Man sieht den Blättern an, dass technisch keinerlei Probleme bestehen. Alle angewandten Techniken werden virtuos  beherrscht und sehr sorgfältig durchgeführt. Das ist charakteristisch für Hans-Joachim Uthke und zeichnet, das darf man heute hier mal sagen, das zeichnet ihn aus.     

Was sieht man aber auf seinen Blättern? Man sieht z.B. einen Fuß in 2 Ebenen. Bei diesem Fuß sind die Zwischenzehenräume mit Pfeilen gekennzeichnet. Der Sinn des Bildes erschließt sich aus dem Text. Der letzte Stinkmorchel wird im Naturkunde Museum zu Stade konserviert. Pilze existieren in Deutschland  praktisch nicht mehr in freier Natur, aber der Fußpilz, ja der Fußpilz, der breitet sich aus: hier  zwischen den Zehen ist  der Pilz,  hier darf er jucken, hier darf er sein.

Auf einem anderen Blatt sieht man einen Spickzettel und erfährt, wie nützlich dieser Spickzettel  für Allergiker ist, denn Allergiker sollen beim Kauf und der Anwendung von Kosmetika unbedingt Hydroxymethylpenthylcyclohexencarboxaldehyd meiden. Das ist, wie man ja dem Wort schon anzumerken glaubt, ein grässliches Allergen. Ohne diesen Spickzettel ist der Durchschnittsallergiker – das unterscheidet ihn natürlich vom Vortragenden - sicher nicht in der Lage, beim Kauf danach zu fragen, um diese für ihn so gefährliche Substanz zu vermeiden.

Man sieht einen durchgestrichenen Affen mit der Meldung darunter, dass der gentechnologische Nachweis der Abstammung des Menschen von Adam und Eva nobelpreiswürdig gewesen ist. Nach der Darwinschen Evolutionstheorie wurde ja bisher gemeinhin angenommen, daß der Menschen vom Affen abstammt. Wie viel Leid wäre der Welt wohl erspart geblieben, wenn die Evolution schon beim Affen aufgehört hätte.

Und ach wie aktuell ist auch das schöne Blatt mit je einer roten  und einer grünen Pille seitlich mit dem Tinkturfläschchen in der Mitte und gerollten Ranglisten für die besten Sportler und erfolgreichsten Dopinghersteller bei der Olympiade der Zukunft.

Satirischer wird es beim blutigen und finanziellen Aderlass, obwohl er, so sagt der Aphorismus, für beide, Patient und Arzt, gesund sein soll. Jedenfalls ergießen  sich hier die Faktoren der


Vier Patienten, die die Gesundheitsreform nicht
überstanden haben - Aquarell, Tusche, Farbstift 36 x 55 cm
Gebührenordnung in die große Abrechnungsschale, um sich in Geld zu verwandeln.

Von denen, die die Gesundheitsreform nicht überlebt haben, werden Schädel gezeigt. Sie sind also schon länger tot und haben vermutlich die vor-vorletzte Gesundheitsreform schon nicht überlebt. Die Forderung  nach Strapsen für die Stützstrümpfe können wir nur unterstützen.

Das Notfallbesteck des Hausarztes zeichnet sich durch Einfachheit und Robustheit aus. Die Situation und Ausstattung des Hausarztes heute ist damit zutreffend dargestellt. 

Beunruhigend ist die Strichliste, auf der unsere Tage gezählt werden.

Ein  Lieblingsbild des Künstlers ist das Bild „Samenbank“, auf das ich gleich noch einmal zurückkomme.


So viel zur Steuer- und Gesundheitsreform -
Kaltnadel-Radierung, handkoloriert  39 x 60 cm

Dem Vortragenden gefällt besonders, das wollen Sie bitte dem praktizierenden gastroenterologisch interessierten Internisten nachsehen, der Vogelschiß auf das Gesundheits- Renten- und Steuerwesen. Das ist herrlich, glänzend! Mehr kann man dazu nicht sagen!    

Weitere Blätter werden Sie selbst finden, wenn ich erst mal aufgehört habe zu reden.

Handelt es sich bei den ausgestellten Bildern um Karikaturen?  Die Grundlagen der Karikatur als Gattung wurde von Annibale Caraci  (1560-16104) gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit seinen grotesken  Gesichtsbildern. gelegt.  Durch zeichnerische Übertreibung beobachteter Formvarianten  soll Komik geweckt bzw. der Betrachter zum Lachen gebracht werden. Solche Darstellungen sind witzig.  Wortgeschichtlich ist das Wort Witz  verwand ist mit den Wort „Wissen“, Gewitztheit, Schläue. althochdeutsch „wizzi“ bedeutet: „scharfe Beobachtung“. Scharfe Beobachtung der medizinischen und menschlichen Verhältnisse ist eine Grundlage der künstlerischen Aktivitäten unseres Künstlers, wobei der Witz dieser Bilder durch den dem Bild zugefügten bzw. durch den im Bild abgebildeten Text zustande kommt.  Bei Wilhelm Busch oder Honoré Daumier steht der Text zur Karikatur jeweils unter dem Bild und erläutert sozusagen das Bild.  Bei HJU  aber gehört oft der Text zum Bild. Es handelt sich natürlich nicht um ein Schriftbild im üblichen Sinne. Aber die schöne Schrift unseres Künstlers im Bild trägt hier zum  ästhetischen


Nachtkonsole 2007 - Tusche, Farbstift   17,5 x 25 cm
Eindruck durchaus bei. Haben wir es bei dem dargestellten Text nun also mit einem Bild vom Text oder einem Text im Bild zu tun? Was ist überhaupt ein Bild? „Ein Bild läßt uns etwas anschauen, was der natürliche oder künstlich geschaffene physische Gegenstand, den der Betrachter vor sich auf dem Bild sieht, selbst nicht ist“. Wie? Was ist mit den Filzobjekten von Beuys? Stellen die etwa etwas anderes dar als sie sind? 

Aber zurück zu dem Bild „Samenbank“:  Im Bild „Samenbank“ ist die Hauptsache der in schwarzen Lettern geschriebene Begriff „Samenbank“. Darüber  liegen einige beschriftete Getreidesamen. Bei der Betrachtung dieses Bild soll eine Samenbank für Pflanzensamen, wie sie in Quedlinburg oder auch am Botanischen Garten in Jena bestehen, assoziiert werden und nicht das, an was wir nach Vorstellung des Malers bei der Betrachtung denken. Jedenfalls schreibt er das so in das Bild: Wir dächten an eine Samenbank menschlicher Spermien. Das „Ceci n est pas une pipe“ von Magritte gehört hierher, wird aber  durch die Unterstellung dessen, was der Betrachter nach der Vorstellung des Malers denkt, noch überhöht. Das wird mir jetzt zu philosophisch und soll  hier und heute mal nicht weiter verfolgt werden. Prinzipiell ist die Mitteilung von Bildern  nicht sprachlicher Natur. Keine Sprache kann die Anschauung von Bildern ersetzen, vor allem auch meine Sprache kann das nicht.  Deswegen höre ich jetzt auch auf und wünsche Ihnen eine amüsante und nachdenkliche Sicht der Dinge."


Wie viele letzte Worte kämpfen um den ersten Platz.
(Stanislaw Jerzy Lec) - Tusche, Farbstift   34 x 46 cm


Text: © Dr. Johannes Vesper - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007
Bilder: © Hans-Joachim Uthke


Zur Ausstellung ist ein Katalog mit 64 farbigen Abbildungen erschienen - im Wilhelm-Fabry-Museum zum Preis von 15,- € zu bekommen.

Zwei Sonderveranstaltungen begleiten die Ausstellung, die bis zum 15. Juli zu sehen sein wird:

1.  Am 14. Juni , 19.30 Uhr liest Dr. Jürgen Wilbert Aphorismen vom ungesunden Menschenverstand -
     die Musik dazu macht Jochen Jasner

2.  Am 21. Juni, 19.30 Uhr präsentieren Doris Hengesbach und Christine Fröhlich den Sketch "Rund  
     und gesund" - im Anschluß
beantwortet die Ernährungsberaterin Doris Hengesbach Fragen zur  
     gesunden Ernährung.

Wilhelm-Fabry-Museum - Benrather Straße 32a - 40721 Hilden  www.wilhelm-fabry-museum.de


Redaktion: Frank Becker