Musikstunde

Eine Plauderei über Brahms´ Violinkonzert D-Dur (2)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde

Über Johannes Brahms und sein
Violinkonzert D-Dur (2)



Aus dem Besuch am 30. September 1853 wurde, wer wüßte es nicht, eine große Freundschaft. Egal, ob Brahms und Clara nach dem Tod Robert Schumanns was miteinander hatten und wie das genau gewesen sein mag, eines ist ganz sicher und verdient höchsten Respekt: Brahms hat der Witwe zur Seite gestanden und sich jahrzehntelang um die Kinder gekümmert und zwar nicht nur en passant sondern mit allem, was dazu gehört, wenn man weiß, was Verantwortung heißt. Er hat bis zum Schluß Kontakt gehalten zu allen Schumann-Kindern, hat sie unterstützt und ihr Leben besorgt begleitet. Da ziehe ich meinen Hut ganz tief, verbeuge mich und verzichte darauf, in einer Liebe herumzuwühlen, die eine war, die aber vielleicht doch anders war, als man so denkt. Das können Sie in den großen Biographien über Clara Schumann nachlesen. Nur eines noch: daß der jüngste Sohn der Schumann-Familie, Felix, von Brahms sei, wird immer wieder behauptet, ist aber Quatsch. Brahms müßte da direkt in den ersten paar Tagen mit Clara intim geworden sein: so liberal waren aber weder Clara noch Johannes.  
 
Nun aber weiter zum Violinkonzert:
Vermutlich entstand es im Frühjahr 1878, im zweiten Pörtschacher Sommer, einer Gegend in Kärnten, in der, wie Brahms sagte, die Melodien nur so herumliegen. Jedenfalls schrieb er am 21. August 1878 an den Geiger Joseph Joachim, daß er ihm einige Violinpassagen schickte, am nächsten Tag aber merkte er, daß Joachim ohne Partitur mit der Violinstimme allein wenig anfangen kann, schrieb ihm das sofort und war überhaupt bei diesem Werk ein kleiner Konfusionsmeier. Er schreibt nämlich Joachim: „Die ganze Geschichte hat vier Sätze“, plant Mitte Oktober eine Probeaufführung mit dem Hochschul-Orchester in Berlin, die aber offensichtlich nicht stattfand, Joachim will die Uraufführung im Neujahrskonzert im Gewandhaus Leipzig sehen, wird aber mit einer Postkarte vom 23. Oktober 1878 von Brahms zurückgepfiffen, auf der steht: „Bestimmtes kann ich dem Augenblick nicht sagen, zumal ich doch über Adagio und Scherzo gestolpert bin“, gibt also die viersätzige Version auf und macht das Durcheinander vollständig, indem er Joachim die Uraufführung des jetzt dreisätzigen Konzerts für eine Österreich-Ungarn-Tournee anbietet, wo doch Joachim genau diese Tournee verschoben hatte, weil er das Konzert Neujahr in Leipzig uraufführen wollte.
 
Er scheint also insgesamt etwas unzufrieden gewesen zu sein und wollte es möglicherweise deshalb nicht in Leipzig vorstellen, wo ja Presse und quasi europäische Aufmerksamkeit auch alle Schwächen sofort wahrgenommen hätten. Dann stellt er Joachim alles anheim: „In Pest wär’s eigentlich lustig! Sehr recht ist mir auch, wenn wir es hier gemütlich am Klavier betrachteten und Du es ganz gelegentlich probierst. Kurz, mache was Du willst“, der wiederum plant daraufhin einen Mammut-Abend mit 1. Beethoven Violinkonzert, 2. Gesang, 3. zwei Sätzen aus Bachs Solosonate C-Dur, 4. Joachims Kleist-Ouvertüre und 5. Brahms Violinkonzert. Da hat nun Brahms was dagegen und schreibt: „Beethoven dürfte wohl nicht vor meinem kommen – natürlich nur, weil beide aus D-Dur gehen“ und erst am 19. Dezember 1878 fällt Joachim die Entscheidung: „Ich will es riskieren, wenn Du recht nachsichtig sein willst, es am 1ten in Leipzig zu spielen: es sind wirklich ungewohnte Schwierigkeiten darin.“ Brahms fährt daraufhin am ersten Weihnachtstag nach Berlin. Weil aber Joachim am 28.12.1878 in Berlin noch ein Konzert zu geben hat (u.a. mit Viottis schönem a-moll-Konzert für Geige und Orchester und seinem eigenen Violinkonzert „in Ungarischer Weise“) blieben für die Proben zur Uraufführung praktisch drei Tage: ein heißer Ritt über den Bodensee!
 
Die Uraufführung war dann am 1. Januar 1879 im Gewandhaus Leipzig im Rahmen des Neujahrskonzertes. Der Erfolg war bescheiden – kein Wunder, bei der knappen Vorbereitung. Zwar schrieb die Presse, daß das Werk gelungen sei und sich neben Beethoven und Mendelssohn sehen lassen könne, „Brahms hat ein solch drittes Werk im Bunde geschaffen“, das Publikum reagierte aber eher gedämpft. Es kam allerdings auch einiges zusammen: Die Orchestermusiker wollen „immer mehr Dich hören als meine Noten spielen. Sie sehen immer seitwärts am Pult vorbei; sehr fatal, aber begreiflich“, wie Brahms beobachtete. Das Konzert selber entsprach auch nicht den Hörgewohnheiten des damaligen Publikums, was Pablo de Sarasate, der große Geigenvirtuose, zum Ausspruch verführte, man möge ihn doch nicht für so geschmacklos halten, mit der Geige in der Hand dazustehen und zuzuhören, wie die Oboe die einzige Melodie des Stücks vortrage.
 
Und Brahms selbst war an diesem Abend auch alles andere als gelassen. Durch einen Besuch war er gehindert gewesen, sich rechtzeitig umzuziehen und stiefelte mit Frack und grauer Straßenanzugshose auf das Podium. Er hatte allerdings von der Hose – er wollte ja die Frackhose anziehen – schon die Hosenträger abgeknöpfelt, aber vergessen, sie wieder anzuknöpfeln. Also stand er mit rutschender Hose und herausquellendem Hemd vor Musikern und Publikum, was sicher eine feine Voraussetzung für das Gelingen des Konzerts gewesen sein muß!
Wir wissen aber, daß sich das Konzert dann doch sehr schnell durchgesetzt hat. Schon Hanslick schrieb in der Kritik des Konzertes vom 14. Januar 1879 (also 14 Tage später): „Brahms‘ Violin-Concert darf wohl von heute ab das bedeutendste heißen, was seit dem Beethovenschen und Mendelssohnschen erschien“.
 Halt! Eine Anmerkung ist noch zu machen. In diesem Sommer 1878 fällte Brahms eine folgenschwere Entscheidung, die sein Aussehen bis heute geprägt hat: er ließ sich den Vollbart stehen, von dem er sich nie mehr getrennt hat. Inwieweit das mit dem Violinkonzert, über dem er da gerade saß, zu tun hat, mögen barbieristisch geschulte Musikwissenschaftler erörtern!
 
Ach, und wo wir schon bei schönen Erinnerungen sind möchte ich Ihnen eine nicht vorenthalten: Eugenie Schumann, das siebte und jüngste Kind von Clara und Robert Schumann, hat viel geschrieben: eine Biographie ihrer Eltern und auch, unter anderem, wunderschöne Erinnerungen, die nicht nur durch einen unsentimentalen warmen Herzenston bestechen, sondern immer wieder auch durch herausragende Formulierungen. Über Brahms schrieb sie z.B.: „Seine wenigen Fehler lagen an der Oberfläche. Unbekümmert trug er sie zur Schau, es der Welt überlassend, den leichten Schleier zu heben und darunter das Herz von lauterem Gold zu entdecken.“
Das schönste Bild dafür, wie Johannes Brahms in Düsseldorf und in das Leben der Schumanns eingerauscht ist, stammt ebenfalls von ihr. Und weil das so schön zum dritten Satz vom Violinkonzert paßt, wie ich meine, möchte ich es Ihnen vorlesen:
„Wie auf einem Bilde sehe ich im Flur eines Hauses in Düsseldorf eine Schar Kinder stehen; die blicken staunend hinauf nach dem Treppengeländer. Dort macht ein junger Mann mit langem blondem Haar die halsbrecherischsten Turnübungen, schwingt sich von rechts nach links, hinauf, hinab; schließlich stemmt er beide Arme fest auf, streckt die Beine hoch in die Luft und springt mit einem Satze hinunter, mitten hinein in die bewundernde Kinderschar. Die Kinder waren wir, ich und meine etwas älteren Geschwister, der junge Mann - Johannes Brahms.“

Wenn das nicht schöne Erinnerungen an einen genialen Musiker und warmherzigen Menschen sind!
Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Tag!

Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010

Redaktion: Frank Becker