Nickerchen

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Nickerchen
 
Sagen Sie mal, machen Sie auch so gern ein Nicker­chen, so mittags? Ich meine, ich weiß ja nicht, ob Sie das beruflich können. Ich kann das. Und ich mache das auch. Ich bin Freiberufler, und so ein Stündchen nach­mittags zwischen 2 und 3, das muß inzwischen drin sein. Besonders jetzt, wo ich immer so müde bin. Ich könnte mich schon morgens, gleich nach dem Früh­stück, könnte ich mich gleich wieder hinlegen, wirk­lich wahr. Es gibt doch nix Schöneres, als wenn man sagen kann: "Welt ade! Ich leg' mich noch mal hin." Keiner sieht das. Keiner kommt zu Schaden. Früher habe ich immer ein schlechtes Gewissen gehabt. Heute? Nix! Nun haben wir ja heute die "Wir-danken­für-Ihr-Verständnis-Gesellschaft", und das ist dann so, daß, wenn du ein wohlverdientes Nickerchen machen möchtest, gleich ein Preßluftbohrer in deinem Ohr an­fängt, auf und ab zu dröhnen. Aussetzt - wieder anfängt - wieder aussetzt. Dann kommt eine längere Pause, und du denkst: überstanden. Ja, Pusteblume. Jetzt geht es in dem anderen Ohr weiter, weil du dich auf die andere Seite gelegt hast. Denn das Ganze kommt so: Unten an deiner Haustür und im Hausflur und im Ne­benhaus an der Haustür und weiter im Nebenhaus und in allen Hausfluren hängen Zettel der Firma Schade & Schäden. „Sehr geehrte Mieter! Bis zum 30. Mai wer­den wir Sie wegen eines Grundwasserverdachtes durch Verschluß einiger Rohre mit unseren Preßluftbohrern so sanft wie möglich, aber so konsequent wie nötig, da mit wir schneller die diversen Schadstellen ausbessern, unter Druck setzen. Wir danken für Ihr Verständnis.“ Ich kann mich nicht entsinnen, daß ich gesagt habe: „Ja, ich verstehe das.“ Ich habe sowieso nix zu sagen. Die können doch machen, was sie wollen. Da wird doch kein Mensch gefragt. Und wenn's für eine gute Sache ist? Gerade da möchte ich gefragt werden. Nein, man weiß von. nix, aber die anderen bedanken sich au­tomatisch für mein Verständnis, das heißt sie müssen es auch, denn wenn sie fragen würden: „Wir bitten um Ihr Verständnis“ dann könnte es sein, daß die ganze Menschheit aufsteht und sagt. „Nein!“ Alle Menschen sagen zusammen: „Nein! Nein, wir möchten das nicht! Den Preßluftlärm! Wir möchten ein Nickerchen machen!“ Das ist natürlich unflätig übertrieben. Das gebe ich gerne zu. Aber vorstellen könnte ich mir das schon. Im Traum, beim Nickerchen.



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung