Joseph Haydn – post mortem

Die Irrfahrt eines berühmten Schädels

von Johannes Vesper

Joseph Haydn (1932-1809)
Joseph Haydn – post mortem
 
Heute vor 201 Jahren, am 31.05. 1809,
starb Joseph Haydn in Wien und wurde beerdigt.

Mit seiner Beerdigung  beginnt eine andere Geschichte. 1820, also 11 Jahre nach Haydns Tod sitzt Fürst Nikolaus Esterhazy nach einer Aufführung der Schöpfung in seinem Schloß und fragt sich und seine Gäste, wo eigentlich die sterblichen Überreste von JH sind, die nach einer Übereinkunft eigentlich in Eisenstadt in der Familiengruft der Esterhazys beerdigt sein sollten. In den Wirren der napoleonischen Besetzung Wiens ist dieses Vermächtnis irgendwie vergessen worden. Wenig Tage später wird also der Leichnam Haydns exhumiert und der Eichensarg geöffnet. Was fand man? Man fand des Skelett und die Perücke, aber nicht den Schädel. Irgend jemand hatte also Joseph Haydn enthauptet und den Schädel gestohlen. In den verbliebenen Halswirbeln - die drei oberen fehlten - sah man Kerben des schartigen Messers, mit dem der Kopf abgetrennt worden war. Man verständigte die Polizei, die bei ihrer Spurensuche auch bald fündig wurde bzw. wie das in Wien so war, bereits seit längerem wußte, was es mit dem Schädel auf sich hatte. Die Polizei kannte wohl schon einen gewissen Nepomuk Peter, der wegen seiner Sammelleidenschaft für Schädel bekannt war. Das hing mit der damals sehr berühmten Schädellehre Franz Josef Galls zusammen, nach der man aus der Form des Schädels, also aus Bucklungen und Erhebungen des knöchernen Schädels auf eine besondere geistige oder seelische Veranlagung glaubte schließen zu können, bzw. auf Charaktereigenschaften des betreffenden Menschen geschlossen wurde. Der „musikalische Hinterkopf“ ist vielleicht ein Überbleibsel dieser Lehre. Es handelte sich dabei sozusagen um eine erste spekulative Lokalisation von Hirnfunktionen. Man war interessiert an Schädeln von großen Philosophen, Verbrechern und eben auch Musikern, weil man glaubte, so den speziellen Begabungen auf die Spur zu kommen.
 
Dieser Peter, im übrigen Verwalter der niederösterreichischen Provinzialstrafanstalt, berichtete der Polizei, daß er zusammen mit Karl Rosenbaum, einem  Freund des Komponisten  und Sekretär des Fürsten Esterhazy, die Totengräber bestochen habe und mit zwei weiteren Helfern die Leiche ausgegraben habe, den Kopf vom Leichnam getrennt habe und dann die Mazerierung des Schädels im Allg. Krankenhaus der Stadt Wien vornehmen ließ.  Peter berichtete, daß er den Tonsinn, wie Gall ihn schon beschrieben hatte, gefunden habe. Er habe dann den Schädel an seinen Freund Rosenbaum übergeben, der den Schädel in seinem Haus in einem schwarz polierten, mit einer goldenen Lyra geschmückten Gehäuse würdig gelagert habe. Das taten die beiden „um zu verhindern, daß Haydns Geist von Maden und Würmern vernichtet würde oder Halbmenschen, Afterphilosophen oder lose Buben ihr Gespött mit ihm treiben könnten“.  Bei der schnell angeordneten Hausdurchsuchung Rosenbaums wurde der Schädel aber nicht gefunden. Frau Rosenbaum hatte Wind von der Sache bekommen, hatte den Schädel in der Matratze ihres Bettes versteckt und gab sich bettlägerig. Sie habe ihre Monatsblutung. Da man nicht weiterkam, zahlte der Fürst ein Lösegeld, wurde aber von seinem Sekretär Rosenbaum betrogen, der ihm zunächst den Schädel eines etwa 20-jährigen Mannes übergab und als dieser Betrug schnell aufflog, den Schädel eines alten Mannes, während er den Haydnschen Schädel behielt. Für die sterblichen Überreste Haydns war schon 1809 eine eiserne Totentruhe angefertigt worden. In dieser Totentruhe  wurden am 04.12.1820  die Gebeine Haydns mit einem falschen Schädel in Eisenstadt beigesetzt.
 
Den echten Schädel gab Rosenbaum zurück an seinen Freund und Komplizen, also den Leiter der niederösterreichischen Provinzstrafanstalt, Nikolaus Peter, dessen Frau den Schädel nach dessen Tod 1839 dem behandelnden Arzt ihres Gatten Herrn Dr. Haller vermachte. Der ergötzte sich bis 1852 an dem Schädel und übergab ihn dem berühmten Wiener Anatomen Karl von Rokitansky, der den Schädel im Anatomie-Museum der Universität Wien aufbewahrte. Sein Nachfolger, der Anatom Prof. Kundrat übergab ihn den Söhnen Rokitanskis nach dessen Tod, weil er angenommen hatte der Schädel sei dessen Privatbesitz. Und diese Söhne endlich über gaben den Schädel der Gesellschaft der Musikfreunde Wiens.
 
Hier wurde der Schädel bis 1954 aufbewahrt. Erst 1954 und zwar am Samstag dem 5. Juni, wurde der Schädel in der Halle des Musikvereinsgebäudes aufgestellt, mit einem golden Lorbeerkranz sowie weißen und roten Pfingstrosen geschmückt, vom Kardinal Erzbischof von Wien eingesegnet dann mit einem Autokorso in einer schwarzen Vitrine zunächst zum Geburtshaus nach Rohrau gebracht, in dem unter Glockengeläut für ihn ein Streichquartett gespielt wurde. Erst dann fuhr man nach Eisenstadt und vereinigte unter Orgelklängen in einer feierlichen Prozedur die Gebeine.   
 
 
© Johannes Vesper