„Moise et Pharao“

Musiklisch ein Genuß, doch David Mouchtar-Samorai beschädigt in Nürnberg Rossini

von Alexander Hauer
Nürnberg 
 
Moise et Pharao ou
Le passage de la mere rouge
von Gioachino Rossini

Nürnbergs Unternehmung, die französische Oper in Deutschland wieder zu stärken, wird fortgesetzt. Mit Rossinis Werk „Moise et Pharao“ gelang eine spektakuläre Lösung. David Mouchtar-Samorai verlegte den Bibelstoff ins ausgehende 19.Jahrhundert. Aus Moses machte er Theodor Herzl, den Begründer des modernen Zionismus und einer der geistigen Väter des modernen Israel.
 
Und darin liegt auch die Crux des Abends. Rossinis Werk ist zu stark, um sich eine Umdeutung überstülpen zu lassen. Vor der Pariser Premiere, der deutlich umgearbeiteten Version seines 1818 für Neapel geschrieben „Mose in Egitto“ fügte man den werbewirksamen Zusatz „oder der Zug durchs Rote Meer“ an. Das Pariser Publikum erwartete ein durchaus großes Bühnenspektakel. Nicht so in Nürnberg, ein schlichter weißer Bühnenraum (Heinz Hauser) dient als Projektionsfläche für das

Nicolai Karnolsky - Foto © Ludwig Olah
Gefühlsleben der Juden im 19.Jahrhundert, und spätestens seit Chereaus Ring von 1976 weiß der geneigte Opernbesucher, daß der Jude immer auf gepackten Koffern sitzt. Dieses Klischee lassen auch Mouchtar-Samorai und Hauser nicht aus. 
 
Die Juden in Kostümen der 1930er Jahre warten auf den Auszug aus Ägypten. Ihre Hoffnung auf Ausreise wird durch die Freilassung von Moses Familie aus der Haft des Königs verstärkt. Doch Prinz Amenophis (David Yim), der als italienischer Spinto mit dem französischen Fach fehlbesetzt war, liebt die Nichte Moses’ Anai. Hrachuhí Bassénz verlieh ihrer Figur spielerische Größe, ihre Stimme erklimmt scheinbar mühelos die hohen Anforderungen ihrer Partie. Anai ist zerrissen zwischen Liebe und Verpflichtung. Das verwöhnte Prinzlein versucht seinen Willen durchzusetzen, was letztendlich den Untergang des ägyptischen Heeres bedeutet.
 
Bei Mouchtar-Samorei führt Moses/Herzl sein Volk, aber immer wenn es zu einem religiösen Erleben, einem Wunder oder Zwiesprache mit Gott geht, trägt die Figur des aufgeklärten, in der KuK Monarchie lebenden Juden nicht. Ein Bibelmoses, Schauspieler Sebastian Dominik in einer sehr undankbaren Rolle, wie aus einem üblem Bibelschinken der 60er, muß die Verbindung zu Gott demonstrieren. Dominiks Auftritt sorgte, leider, für verhaltene Heiterkeit beim Premierenabend genau wie einige andere unnötige Regieeinfälle. Ein erwachsener Prinz, der sich wie ein verzogenes 5-jähriges Gör auf dem Boden wälzt um seine Willen zu bekommen, ist genauso aufgesetzt wie das Rheumafußbad des Pharaos. Am Ende zieht das Volk Israel durch das Rote Meer, ein auseinander gezogener Bühnenprospekt gibt die dunkle Tiefe der Hinterbühne frei.
Ist es der Zug in die Freiheit, wie es die Musik vermittelt, oder soll die schwarze Tiefe eher den Todesmarsch in die Konzentrationslager darstellen? Die Regie gibt da keine eindeutigen Lösungen. Der Untergang des ägyptischen Heeres wird durch flammend rot ausgeleuchtete Bilder des brennenden Nürnberg im 2. Weltkrieg dargestellt.
 
Musikalisch hätte es dem Meister aus Pesaro sicher besser gefallen. Guido Johannes Rumstadt

Hrachuhí Bassénz - Foto © Ludwig Olah
zauberte feinen, wohltönenden Rossiniklang aus dem Graben, auf der Bühne brillierten Nicolai Karnolsky und Melih Tepretetz als Moses und Pharao. Vladimir Solodyayin überzeugte mit unendlicher Tiefe und markant männlicher Höhe als Hoher Priester. Teresa Erbe als Marie interpretierte die Schwester Moses’ überzeugend und klar, Richard Kindley, ein mit allen Wassern gewaschener Darsteller, erfüllt stimmlich die hohen Anforderungen der Partie des Eliazar nicht ganz. Ezgi Kutlu als Pharaonin Sinaide riß mit vokaler Schönheit und Präzision zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Der eigentlich zu kleine Hauschor avancierte unter Edgar Hykel zum eigentlichen Hauptdarsteller des Abends. Auch das alles im Sinne Rossinis. Der Abend endete mit einigen wenigen Buhs, die der Regie galten, aber Sebastian Dominik trafen und mit überwältigendem Applaus für Chor, Sänger und Orchester. Ein Rossini jenseits der Spaßopern Barbier, Türke und Italienerin, voll musikalischer Größe und grandiosen Stimmen, behauptet sich mit Leichtigkeit gegenüber einer Regie, die den Anspruch einer Neudeutung leider nur zum Teil erfüllte.
 
David Mouchtar-Samorais Bemühungen, die Problematik der jüdischen Gesellschaft des ausgehenden 19.Jahrhunderts auf die Bühne zu bringen sind berechtigt und lobenswert, leider lassen das Libretto und die Musik diese Umdeutung nur in Teilen zu.
 
 
Bilder von Ludwig Olah