Plauderstunde

Über EC-Karten und den Eyjafjallajökull

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über EC-Karten und den Eyjafjallajökull

 
Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Mitmenschen, ich darf Sie wieder einmal ganz herzlich willkommen heißen zu meiner Plauderstunde, dem kleinen Sammelsurium, das ich ihnen hier zu lesen und als „Beikirchers Pasticcio musicale“ monatlich einmal auch im Radio auf Ihrem und meinem Lieblings-Sender SWR mit Musik zu hören gebe. Ich möchte Ihnen dies und das erzählen, was mir so im Kopf ist, und weil wir schon eine Weile ein neues Jahr schreiben, nämlich 2010, fällt mir ein, wie sie uns alle damals vor dem Milenniums-Silvester gewarnt haben, erinnern Sie sich noch? Alle Computer würden zusammenbrechen, kein Zug würde mehr fahren und das öffentliche Leben würde erlahmen – als hätte es bei uns in Deutschland jemals ein der Rede wertes öffentliches Leben überhaupt gegeben. Und was war? Nix war, Hornberger Schießen war, die Computer funktionierten perfekt, die Züge fuhren pünktlich ins Jahrtausend hinein, auch wenn da eine 2 davor stand. Jetzt aber, beim Wechsel von 2009 zu 2010 passierte es plötzlich und zwar bei den EC-Karten. Plötzlich stand alles still, bei Aldi standen nur noch vereinzelt Schüler und Hartz 4 Empfänger an der Kasse, weil das die einzigen sind, die bar bezahlen, bei Vuitton versteckten sich die Platinum-Card-Inhaberinnen in den Koffern, um nicht als Kreditkatenbetrügerinnen dazustehen und aus parkenden Autos klauten sie wie früher wieder Benzin, die Plastikgeld-Welt war aus den Fugen und das im geordneten Deutschland. Warum? Weil die Lesegeräte 30 Millionen Kredit- und EC-Karten nicht lesen konnten. Und warum das?  Weil für den Computer die 10 vor der 20 zu kommen hat und nicht die 20 vor der 10. Ist das nicht wunderbar? Die intelligenteste Erfindung unserer Zivilisation, der Computer, ohne dessen Hilfe kein Schwein zum Mond fliegen, sich die Haare temperaturexakt fönen oder ABS-Bremsen könnte, ist zu blöd um zu checken, daß es Fälle gibt, in denen die 20 zurecht vor der 10 erscheint. Und grade erst haben wir lernen müssen – ich sage ja: lernen dürfen – daß das Wunder vom Fliegen nur dann funktioniert, wenn die Natur einverstanden ist. Aus Protest hat erst kürzlich der Vulkan Eyjafjallajökull wieder mal ein bißchen Asche gehustet, und wie man den jüngsten Nachrichten entnimmt, räuspert er sich in diesen Tagen schon wieder in Richtung Westeuropa. Prompt blieben und bleiben wohl wieder die Flugzeuge am Boden und es herrschte eitel Ruhe am Himmel. Da freut sich doch der Christoph Martin Wieland- und Jean Paul-Fan Konrad Beikircher, wie schon neulich sein Redakteur, weil das wieder einmal zeigt, daß der Fortschritt eine verteufelt zweischneidige Angelegenheit ist. Er schaut viel größer aus, als er wirklich ist, hat schon Johann Nestroy festgestellt und Oscar Wilde bemerkte ganz richtig: „Ich glaube nicht an den Fortschritt, sondern an die Beharrlichkeit der menschlichen Dummheit“.
 
Ich möchte Ihnen, werte Leserinnen und Leser auch aus der Welt der Kleinen Literatur, die manchmal größer sein kann als ihre große Schwester, eine Empfehlung mitgeben. Heute möchte ich Ihnen Elias Canetti ans Herz legen und sein geniales Buch „Der Ohrenzeuge Fünfzig Charaktere“. Da hat sich der große Erzähler in eine Reihe mit Theophrast und La Bruyere gestellt, mit denen also, die sich mit den menschlichen Typen befasst haben, Canetti tut es aber auf eine ganz andere, verschrobene und originelle Art. Eine kleine Lektüre, die sich lohnt.

Machen Sie´s gut und gönnen Sie sich auch einmal eine Pause!

Ihr
Konrad Beikircher




© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker