Alpenspaß

Im Weißen Rössl am Wolfgangsee

von Alexander Hauer
Theater Erfurt
Im Weißen Rössl
 

I
m November 1930, nur drei Jahre bevor der braune Terror den Spaß auf deutschen Bühnen gleichschaltete, erblickte ein seltsames Ding das Scheinwerferlicht der Bühnenwelt. Das Hotel „Weißes Rössl“, am romantischen Wolfgangsee gelegen, wurde zum Handlungsort für, ja, für was eigentlich?
Von Ralph Benatzky, Erik Charell und Robert Gilbert als Singspiel auf der Basis einer Komödie von Gustav Kadelburg und Oskar Blumenthal deklariert, traf es den beliebten Opernton recht wenig, für ein Schauspiel mit Musik hatte es zuviel „Musikalisches“, eine Operette, nein, nicht wirklich, Berliner Posse, das kommt dann schon eher hin, aber eigentlich ist es ein Musical, auch wenn es die

Jörg Rathmann, Stephanie Müther - Foto © Lutz Edelhoff
Bezeichnung für ein deutsches Stück damals noch gar nicht gab.
Das Originalmaterial der Uraufführung war in den Kriegswirren verloren gegangen, es fand sich erst kürzlich in Zagreb wieder auf. So geisterte das weiße Rössl bis dahin als kunterbunte Wiederaufbauoperette durch das Nachkriegsdeutschland, durch Kinofilme und die Berliner „Bar jeder Vernunft“, bis es durch den Zagreber Fund auf einmal eine wirklich interessante Neuerung gab. In einem Spiegelzelt in Berlin spielte man eine stark verkürzte Fassung für sehr, sehr kleines Orchester. Und in dieser Fassung eroberte dann das Weiße Rössl das jüngere und das junge Publikum. Straff auf Spielfilmlänge gestutzt wurde aus der verstaubten 50er Jahre Klamotte lebendiges, witziges Musiktheater. Das Theater Erfurt brachte nun diese Fassung auf die Bühne seines Studios.
 
Norman Heinrich (Ausstattung) baute eine Bretterwand mit vielen Spielmöglichkeiten und Aldora Farrugia (Regie) belebte die Szene mit einem vorzüglichen Ensemble. Dabei verzichtet er fast auf jedes österreichische Kolorit, auch die Rollen werden gründlich durcheinander gewirbelt, die Grundkonstellation aber bleibt. Aldora Farrugia versucht auch nicht österreichisch-deutsche Vorurteile aufzuräumen, nein im Grunde vertieft sie sie. Der Spiegel, den sie den beiden Nationen vorhält, hier das gestrige Kaiserreich, da das hektische Berlin aus den Piefkei, wirkt erschreckend. Eine Ironie, die fast schon schmerzt.
Aber wer sind diese Typen, die sie auf die Bühne bringt? Herausgelöst aus der Zeit, eigentlich spielt das Rössl ja vor dem ersten Weltkrieg, werden sie zu immer noch modernen Menschen.
 
Angeführt von Stéphanie Müther, die das dominante Prachtweib Josepha Vogelhuber mehr als überzeugend gibt, folgt Richard Carlucci als Rechtsanwalt Otto Siedler. Er gibt diesen Frauen- und Sportbesessenen mit angenehmem Tenor und charmantem texanischem Akzent. Fernando Blumenthal ist Wilhelm Giesecke, ein lauter, immer unzufriedener Berliner, der gerne Äpfel mit Birnen, sprich Wolfgangsee mit Ahlbeck und Grunewald vergleicht. Sein Töchterlein Ottilie, von Anna Buschbeck nicht als charmantes Großstadtkind, sondern als kritiklos geile Schlampe, die sich jedem Kerl sofort zur Verfügung stellt gegeben, überzeugt stimmlich wie darstellerisch. Da sind noch die beiden Kellner, Jörg Rathmann als verliebter Depp Leopold und sein Piccolo Gregor Nöllen: wenn es den Begriff „Schmierlappen“ nicht schon gäbe, die beiden könnten ihn sich patentiere lassen. Großspurig und arrogant, kombiniert mit berechnender Faulheit, jeder noch so miese Kellnerwitz trifft auf die zwei zu.
 

Tobias Schäfer, Christa Dalby - Foto © Lutz Edelhoff
Aber es sind auch durchaus nette Gestalten auf der Bühne. Tobias Schäfer und Christa Dalby sind das Buffopaar Sigismund und Klärchen. Er der Schnöselsohn aus Thüringen, sie das arme, aber süße Girlie. Reinhard Friedrich gewinnt als Prof. Dr. Hinzelmann spätestens beim „Erst wenn’s aus wird sein, mit einer Musi“ alle Herzen. Ach ja, auch die kleinsten Rollen sind hervorragend besetzt. Ina Mecke als rattenscharfes Stubenmadl, Elisabeth Veith als hochschwangere Präsidentin des Jungfrauenvereins Kathi Weghalter und schließlich Dario Süß als Kaiser. Mit unendlicher Baßtiefe und Auftreten als gealterter Buffalo Bill fügt er die Liebenden zusammen. Johannes Pell hält die Zügel straff in der Hand. Seine Combo schwelgt im Rausch der frischen Alpenluft, schafft Stimmung bei den vielen zeitgenössischen Rhythmen genau so wie bei Ländler und dem Wiener Lied.
 
Nach knapp zwei Stunden war der pausen-lose Alpenspaß unter der musikalischen Leitung von Johannes Pell viel zu früh vorbei. Beschwingt verließ man das sommerliche St. Wolfgang - vor der Tür: Thüringen.
 
Bilder von Lutz Edelhoff

Redaktion: Frank Becker