Melodram - vergnüglich

Staatstheater Nürnberg: "Emilia di Liverpool"

von Alexander Hauer
Staatstheater Nürnberg  

Emilia di Liverpool
 

M
anchmal dauert es fast 200 Jahre, bis sich ein deutsches Opernhaus durchringt, Donizettis frühes Meisterwerk auf die Bühne zu bringen. Peter Theilers Mut in einer Zeit der Wagnervernarrtheit eine Belcantorenaissance anzustreben, ist es zu verdanken, das dieses Werk endlich seinen Weg auf die deutsche Bühne schafft.
Emilia di Liverpool, wahrscheinlich nach einem Schauspiel von August von Kotzebue, ist ein Melodram, eine längst vergessene Opernform, in der seltsame Entwicklungen, unerwarteter Ereignisse und unglaubliche Wendungen an der Tagesordnung sind.
 
Schlimmer geht´s nimmer

Der Inhalt: Emilias Vater gerät in afrikanische Sklaverei, ihre Hochzeit mit einem neapolitanischen Edelmann läßt sie für eine Affäre mit dem betrügerischen Gutsverwalter platzen. Emilias Mutter stirbt wegen dieser Entwicklungen an Gram. Der Verwalter bringt das Vermögen durch und Emilia verfällt in einen sanften Wahn. Soweit die Vorgeschichte.

Hrachuchí Bassénz - Foto © Jutta Missbach

18 Jahre später treffen alle Personen wieder aufeinander. Federico, der Verwalter, ist nun der Sekretär des sitzengelassenen Verlobten von Emilia, Don Romualdo, hat aber schon wieder ein Verhältnis mit Romualdos neuer Verlobten Luigia. Zusammen mit ihrem Vater reisen sie durch England geraten in einen Sturm, werden von Emilias Vater, der sich aus der Sklaverei befreien konnte , aus höchster Not gerettet und landen schließlich in einer Einsiedelei, in der Emilia mit ihrer Freundin Candida lebt. Aus den unterschiedlichsten Lebensgeschichten entwickelt sich ein Drama erster Güte, an dessen Ende zwei „glückliche“ Paare stehen.
 
Groschenroman-Schmonzette wird lebendiges Theater

Eine Handlung wie aus dem Groschenroman, und es war zu Donizettis Zeiten durchaus ernst gemeint. Daß aus dieser Schmonzette ein Stück lebendiges Theater wurde, verdankt man neben der Übersetzung des Dialoge durch Judith Debbeler und der erfrischenden Regie Andreas Baeslers dem überragenden Ensemble des Nürnberger Staatstheaters.
Guido Johannes Rumstadt läßt Donizetti‘schen Wohlklang aus dem Graben verströmen. Hrachuchí Bassénz gibt Emilia Gestalt, stimmlich schwingt sie sich scheinbar mühelos in die höchsten Koloraturen. Ihre überragende Stimmtechnik ermöglicht ihr zarte Piani genauso wie kraftvolle Ausbrüche. Rainer Zaun, Don Romualdo, läßt seinen profunden Baß in dunklen Tiefen glühen, Kurt Schrober gibt Emilias Vater Claudio kraftvolle Größe. Christopher Lincoln überzeugt als betrügerischer Federico genauso wie Melih Tepretmez als alter Graf. Audrey Larose Zicat und Theresa Fauser vom Opernstudio gefallen als Luigia und Candida genau wie in der Zauberflöte.
 
Film Noir - konterkariert

Auf der musikalischen Seite war allein durch die Besetzung schon ein schöner Abend garantiert. Bliebe die Frage, was macht der Regisseur aus dem Melodram? Andreas Baesler ist ja nicht für konventionelle Inszenierungen bekannt. So nahm er sich Donizettis Werk zur Brust, studierte genau Partitur und Libretto und schuf zusammen mit seiner Dramaturgin Judith Doderer eine überraschende Lösung. Das Elend, die Not und der Wahnsinn des Menschen werden in einer höchst vergnüglichen Version auf die Bühne gebracht. Die Liverpoolsche Einsiedelei mutiert in Harald Thors Bühnenbild zu einem gepflegten Landhaus im Stile des Film Noir der 40er Jahre. Geheimnisvolle dunkle Wände, Bärenfell, Winetable und Kamin zeigen ein gediegenes englisches Interieur, komplettiert durch einen Oldtimer mit Chauffeur. Die Kostüme von Gabriele Heimann unterstreichen das Dekor, werden aber durch slapstickartige Bewegungsabläufe der Bühnenfiguren konterkariert. Baeslers Ensemble besitzt die Bereitschaft, seinem teils groben, teils hintergründigen Humor Gestalt zu geben. Die perfekte Einstudierung einer fast barocken Körpergestik läßt auf intensive Probenarbeit schließen. Allen voran Rainer Zaun, der als düpierter Verlobter mit wunderbaren südhessischen Dialekt in die Figur Groucho Marx schlüpft. Unterstützung findet das Geschehen durch verfremdete Videoeinspielungen aus „ Keeper of the flame“( USA 1942, George Cukor) und „Captain Blood“  (USA, 1935, Michael Curtiz). Die neuinterpretierten Dialoge in deutscher Sprache werden von dem internationalen Ensemble in bemerkenswert verständlichen Klang und Deutlichkeit gebracht, sodaß auch dieser Teil des Abends zum reinsten Vergnügen wird.


Ensemble - Foto © Jutta Missbach
 
Ein tolles Orchester, ein wahnsinnig gutes Ensemble und die mit scheinbar leichter Hand geführte Regie garantieren einen sensationellen Abend. Danke, Herr Theiler für diese Ausgrabung!

Weitere Informationen unter: www.staatstheater-nuernberg.de 

Redaktion: Frank Becker