Kein Kenner

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Kein Kenner
 

S
agen Sie mal, hab ich Ihnen eigentlich schon gestanden, daß ich kein Kenner bin? Kenner, das sind ja ganz spezielle Menschen, das sind nicht nur Spezialisten, das sind also, das sind Superspezia­listen. Kenner, das sind so, also wenn man einem sagt, »ich hatte neulich im Namen der Gürtelrose Herpes Zoster«, dann sagt ein Kenner gleich: »Kenne ich, hatte ich auch schon.« Wissen alles, haben alles, können alles. Ich bin immer sofort ganz neidisch, ich hab ja keine Ahnung von, sehen Sie mal, ich weiß wirklich so gut wie nix. Ich bin auch kein Weinkenner, obwohl ich 40 Jahre in Mainz gelebt habe, ist eigentlich 'ne Schande. Aber ich beneide immer so Leute, die so 'ne Weinkarte rauf- und runterlesen können, nicht wahr, wissen Jahrgang und Hanglage und alles. Und auch so Leute, die am Tisch sitzen, die Flasche in der Hand, da sitzt die Familie, da steht der Ober, und die dann Immer sagen: »Ja, ich glaube, den nehmen wir, den finde ich sehr gut, den Wein, ja. Ne, also der ist auch sehr leicht.« »Ja, der ist sehr leicht«, sagt der Ober, »zum Mittagessen, sehr leicht und sehr bekömmlich, bekömmlich und leicht und trocken, äußerst trocken«, sagt der Ober, »äußerst trocken, den trinke ich auch immer«, hat der Ober schon fünfmal gesagt, nicht wahr. »Ja, ich glaube, den nehmen wir wirklich.« Also, wenn ich daneben sitze, werde ich immer weiß vor Neid, ich hab keine Ahnung. Ich bin auch kein Tabak­kenner, kein Pfeifensammler, ich bin auch kein Men schenkenner, auch kein Frauenkenner. Ich meine, ich kenne schon 'ne Menge Frauen, aber immerhin. Ich bin auch kein Autokenner, ich bin auch kein Tee­kenner. Das ist ja ganz schlimm, wenn man kein Tee­kenner ist, nicht wahr! Da gibt's so Leute, die bezahlen für 'ne Teekanne schon so viel Geld wie für 'ne Gebets­mühle. Früchtetee z. B., ich hasse Früchtetee, da kom­me ich nicht mit zurecht, nicht wahr. Ich bin eben kein Kenner. Habe ich neulich noch zu einer alten Freundin gesagt, d.h. so alt ist sie auch wieder nicht, also ich wollte sagen, zu 'ner langen Freundin, obwohl sie nur 1,65 m ist, daß ich kein Teekenner bin, hat die sich bald umgebracht, hat sich bald umgebracht! Ich sage, ich will auch gar kein Kenner werden. Wir saßen in Nürnberg, in einem Hotel, im Frühstücksrestaurant, waren auf Tournee und so, und ich wollte einen schwarzen Tee. Da bekam ich so 'n Blättertee, mit so `nem Porzellanaufsatz, den man so hoch- und runter­zieht, und an den Seiten quaatscht der Tee schon so raus. Und das am Morgen, das ist ein furchtbares Han­tieren, nicht mit mir. Und da sagt meine lange, alte Freundin, der Tee wäre ja besonders gut mit den Blät­tern und wäre auch besonders fein, wenn er in diesem Porzellanaufsatz gefiltert würde. Und ich sagte: »Ich möchte einen solchen Blättertee nicht, da krieg ich ja die Blattern, ich möchte einen ganz simplen, spießigen, kleinbürgerlichen, deutschen Beuteltee! Ein Beutel reicht, ich bin ja kein Känguruh, Herrgott nochmal! Bitte nicht diesen Blätter-Firlefanz. Diese grünen und braunen, fast schwarzen Blätter. Die haben sich doch früher die Indianer und die peruanischen Briefträger auf die Brust gelegt, hier, wenn die Anden­fieber und Kordilleren -Asthma hatten. Ich möchte meinen Tee nicht durch die Pfeife wie in Patagonien trinken. Ich trag ja auch keinen Poncho beim Früh­stück, was soll das Ganze? Ich bin ja kein Vaquero, kein Rinderhirt, bin doch nicht schwachsinnig. Eine Hage­butte macht noch keinen Jahreswechsel!« Ich habe getobt, habe ich an dem Morgen. Es war mit mir nicht auszuhalten, wirklich wahr. Apropos Jahreswechsel, eine Hagebutte macht noch keinen Jahreswechsel. Ich wollte Ihnen noch rasch bei der Gelegenheit, wollte ich nicht vergessen, wollte ich Ihnen noch rasch »Toi, toi, toi« für das neue Jahr wünschen, wenn auch verspätet, aber so doch nicht weniger von Herzen. Also, man sagt das doch immer, und ich habe es auch schon tausend Mal in meinem Leben geschrieben. Wenn ich 'nen Geburtstag vergessen hatte: »Wenn auch verspätet, so doch nicht weniger herzlich.« Haben Sie doch sicher auch schon xmal geschrieben. Wenn auch verspätet ­- so doch nicht weniger herzlich! Das kann man bis ans Lebensende, kann man das. Aber dann fangen ja auch schon die neuen Kalender an. Das ist schon richtig, aber man kann das schon sagen, wirklich wahr. Toi, toi, toi und alles Gute.


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Meine Geschichten"
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung