Musikstunde

Über Ludwig van Beethoven (5)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde

Über Ludwig van Beethoven und seine
Diabelli-Variationen (5)



Guten Morgen, liebe Frühaufsteher,

Ihre gewohnte Dienstags-Post ist im www-Musenblätter-Kasten! Heute erfahren Sie endlich, was es mit den berühmten Diabelli-Variationen Ludwig van Beethovens auf sich hat.

Nebenbei hat der Diabelli ja auch komponiert, z.B. Singspiele wie „Die Kurgäste am Sauerbrunnen“, was sicher ein smash hit war, quasi das AOK-Musical schlechthin, hat mit Beethoven das ein oder andere Fläschchen grünen Veltliner geleert und war überhaupt einer, der niemandem wirklich weh tat, was ja auch ein feiner Zug ist. Die MGG schreibt: „Diabelli wußte mit der Instinktsicherheit des Verlegers ... die vielseitigsten Bedürfnisse der Zeit zu befriedigen. Seine Werke sind darum auch... längst verdienter Vergessenheit anheimgefallen“ - ein beinah böses Urteil, finden Sie nicht auch? Zumal Diabelli als Verleger große Verdienste um Schuberts Werk hat, den er verlegte, sowie Cherubini und die Haydn-Brüder Josef und Michael. Und zumal es im Leben Diabellis einen Augenblick gegeben hat, der ihm die Ewigkeit sichert: das war der Augenblick, als ihm ein grandioser verlegischer Einfall kam: „Waaßt wos“, soll er zu seinem Compagnon Cappi gesagt haben, „i schreib an klaan Walzer und den sollen mir die ganzen zeitgenössischen Komponisten aus Wien und Umgebung variieren: do nehmen mr den Beethoven, den klaan Schubert, den jungen Liszt, das soll ja ein ganz ein fescher sein, der is zwar erst elf aber ausschauen tut er wie 16 und die Madln sein ganz narrisch nach ihm (tatsächlich war das die erste veröffentlichte Komposition vom 11jährigen Franz Liszt!), den Hummel, eh klar, den Czerny Karl, dann kommt der amoi auf andere Ideen statt allweil nur die langweiligen Etüden zu komponieren, den Ignaz Moscheles, dann nehmen mr den Sohn vom Mozart, den Franz Xaver Mozart, macht sich als Namen immer guat und es wird ihm schon was einfallen, und natürlich den Erzherzog Rudolph - der kennt sich mit bade Noten bestens aus: mit den musikalischen und mit den Banknoten!“. Also schickt er sein Thema rund und erntet reichen Beifall, alle schreiben ihm eine Variation. Nun aber der Reihe nach:
1819 schickt er den Walzer los - ein unprätentiöses gefälliges Stück, von Beethoven abschätzig als „Schusterfleck“ bezeichnet, ein vernichtendes Urteil. Als Schusterfleck bezeichnet man eine kleine Melodie, die einen Ton höher erneut erklingt, manchmal einen zweiten, einen dritten Ton höher und so weiter  z.B. Gestern Abend war Vetter Michel da - der Komponist kopiert also nach oben, weil ihm unten nix mehr einfällt! - und das kommt im kleinen Diabelli-Walzer  ebenfalls vor (singen). Immer wieder wird der Walzer etwas abschätzig verurteilt, bloß weil die Variationen besser sind als das Thema, aber uns heutigen - die wir ja im musikalischen Alltag nur noch Schusterflecke hören, ich nenne das immer die Tortenheber-Modulation: der Schlager läuft, wird fad, da kommt der Tortenheber, sticht in den ganzen Kuchen und hebt alles brutal einen Ton nach oben und das Ganze läuft noch mal von vorn - uns heutigen also kommt es als ein hübsches Thema vor.
 
Also: Diabelli hat alle angesprochen: die Arrivierten, die Avantgarde, die Jungen, die Alten, es waren die Salonlöwen genauso vertreten wie die seriösen, also das war schon mal genial. Und Böhmen und Mähren auch gleich mit dabei wegen k.u.k. etc! Also es war alles abgedeckt, was man als Verleger abdecken konnte! Natürlich hat es gedauert, bis die alle ihre Variation geschrieben hatten - eine, wohlgemerkt, eine, nicht 33! Nur uns Ludwig, der hat sich schon 1820 daran gemacht, obwohl ihm das Thema zu simpel war und er sich gehörig darüber geärgert hat. Er macht sich ja auch in einigen Variationen so was von lustig über das Thema - die Mozart-Passage z.B. - daß es nur so eine Freude ist, insofern sind die Diabelli-Variationen auch das genaue Abbild ihres Schöpfers - Beethoven zeigt hier alle Facetten seiner Persönlichkeit vom bärbeißigem Humor bis zu beinahe transzendentaler Innigkeit. So gesehen hat Hans von Bülow, der große Dirigent und das große Wagner-Opfer, vollkommen recht, wenn er schreibt, die Variationen seien „der Mikrokosmos des Beethovenschen Genius“.

Beethoven war als einer der ersten fertig und das gleich mit diesem ungeheuerlichen Monumentalwerk. Was lag da näher, als es sofort separat zu veröffentlichen, was Diabelli natürlich auch tat. Die Variationen erschienen zunächst bei Cappi & Diabelli 1823. Brachte schon mal gutes Geld in die Kasse. Dann aber trennte sich Diabeli von seinem Compagnon Cappi - Cappi ist übrigens als einer, dessen Gewinnsucht Schubert zum Opfer fiel, allen Schubert-Freunden in extrem unangenehmer Erinnerung, erst als Schubert von Diabelli allein verlegt wurde, gings besser - und gründete den Vaterländischen Kunstverein. Am 9. Juni 1824 stellte er diesen der Öffentlichkeit vor und das gleich mit der Herausgabe der Diabelli-Variationen: erste Abteilung: Beethoven, alles noch mal quasi, zweite Abteilung: alle anderen Variationen. Dazu schrieb er:
„Die unter der neuen Firma... beginnende Kunsthandlung schätzt sich glücklich, ihre Laufbahn mit der Ausgabe eines Tonwerkes beginnen zu können, das in seiner Art einzig ist und es seiner Natur nach auch bleiben wird. Alle vaterländischen jetzt lebenden bekannten Tonsetzer und Virtuosen auf dem Fortepiano... haben sich vereint, auf das ihnen vorgelegte Thema jeder eine Variation zu componieren, in welcher sich Geist, Geschmack, Individualität und Kunstansicht, sowie die einem jedem eigenthümliche Behandlungsart des Fortepiano auf die interessanteste und lehrreichste Art ausspricht.

Schon früher hatte unser großer Beethoven (der musikalische Jean Paul unserer Zeit) auf dasselbe Thema in 33 (bey uns erschienenen) Veränderungen, die den ersten Theil des Werkes bilden, in musterhaft origineller Bearbeitung alle Tiefen des Genies und der Kunst erschöpft. Wie interessant muß es daher sein, wenn alle anderen Tonkünstler, die gegenwärtig auf Österreichs klassischem Boden blühen, über dasselbe Motiv ihr Talent entwickelten, und somit dieses bedeutende Werk nicht nur zu einer Preisaufgabe sondern zugleich zu einem alphabetischen Lexicon aller, teils bereits lägst gefeierter, teils noch vielversprechender Namen unseres in der Kunstgeschichte so glänzenden Zeitalters durch ihre Beiträge zu machen sich bemühten.“
No, wann das kein PR-Kunststück ist, was?!
So kam jedenfalls nochmals satt was rein und das ist ja auch schön. Noch schöner ist, daß die Handschrift immer näher nach Bonn rückt, da, wohin sie gehört. Und wenn das Autograph da ist, gibt es noch eine Steigerung: die Aufführung der Variationen - der Beethovenschen und der anderen - im noch zu erstellenden Festspielhaus erleben zu dürfen! - Dachte ich bis 22. April. Der Traum ist ausgeträumt, denn obwohl Telekom, Post und Postbank der Stadt Bonn das elegante Konzerthaus schenken wollten, jawoll: schenken, hat die Stadt das wegen der zu erwartenden Kosten für die Instandhaltung schlicht abgelehnt. Also nemme mer mal en anderes Beispiel, jo: ich schenke Ihnen ein schickes neues Wägelchen, von Pininfarina entworfen und von sagen wir mal Daimler Benz gebaut - und Sie sagen: "Nä! Dat nehm ich nit, dat kost´ ja Sprit, Versicherung und Steuer. Do jonn ich lieber ze Fooß." Schön blöd. Von Ihnen, meine ich. Is eben so: jeder Jeck is anders.
 
So, meine Lieben - jetzt habe ich mein Versprechen, Ihnen ein wenig über die Geschichte der Diabelli-Variationen zu erzählen eingelöst - und gleichzeitig ein bißchen aus Beethovens Zeit und Welt erzählt. Mir hats Spaß gemacht, ich hoffe Ihnen auch! Und das mit dem Festspielhaus, das nehmen wir uns einfach nicht zu Herzen.

Ihr
Konrad Beikircher




© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010

Redaktion: Frank Becker