Plauderstunde

Über Geburts- und Sterbetage

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über Geburts- und Sterbetage


Liebe Freunde meiner kleinen Dienstags-Kolumne,

ich begrüße Sie ganz herzlich zu einer neuen Plauderstunde in den Musenblättern!
 
Wie alle Jahre hammer natürlich die Geburts- und Todestage auch in diesem Jahr, da tut sich wieder einiges. Und es sind einige Schwergewichte darunter – nicht was den Leibesumfang angeht, Sie wissen schon... Tolstois Leo ist vor hundert Jahren gestorben, genau genommen am 20.11.1910, und in den darauf folgenden hundert Jahren ist er oft genug hingerichtet worden von schlechten Regisseuren und kuhäugigen Hauptdarstellern, womit ich jetzt natürlich nicht Audrey Hepburn meine. Wir können ja seinen 100. Todestag zum Anlaß nehmen, ein bißchen in seinen Büchern zu blättern. Ich bin sicher, daß wir uns festlesen werden und dem erzählerischen Genie dieses opulenten Shakespeare-Hassers erliegen. Über den hat Väterchen Tolstoi gesagt: „Die Werke Shakespeares genügen nicht den Forderungen irgendeiner der Künste und außerdem ist ihre Geistesrichtung die minderwertigste und unsittlichste. Je eher die Menschen sich von der verlogenen Shakespeare-Verehrung frei machen, desto besser“. Ui, da hat er aber danebengehauen, oder?!

Ach ja: Felix Woyrsch wäre am 8. Oktober 150 Jahre alt geworden und er ist eine Wiederentdeckung wert. Er hat von 1860 bis 1944 gelebt, war vorwiegend in Altona als Leiter der dortigen Liedertafel, des Kirchenchors und der Singakademie tätig und hat als Städtischer Musikdirektor das musikalische Leben dort oben geprägt. Opern hat er geschrieben, Symphonien, die auch Brahms außerordentlich schätzte, Kammermusik und Kirchenmusik. So sind vor allem seine Orgelwerke bekannt geblieben. Der Rest seines Werks aber, vor allen Dingen seine Oratorien, ist vergessen. Das soll nicht so bleiben: seine Musik, die man klassisch „zwischen den Jahrhunderten“ ansiedeln könnte, so spiegelt sie Bruckner einerseits wieder und stößt andererseits in die Atonalität vor, wird langsam wieder entdeckt. Es gibt eine Gesellschaft zur Förderung seines Werks – im Internet unter www.p-w-g.de aufrufbar – und die ein oder andere hörenswerte Einspielung.
 
Ach ja, Frédéric Chopin, am 1.3. ist sein 200. Geburtstag gewesen, aber das werden wir das ganze Jahr über noch gebührend feiern und in die Ohren bekommen. Ich möchte hier nur zwei kleine Aspekte aus seinem Leben nicht unerwähnt lassen, weil es häufiger vorkommt, daß ein musikalisches Leben scheinbar vollkommen unmusikalisch beginnt:
Der Säugling Frédéric brüllte los, sobald seine Mama Justyna, geb. Krzyzanowska, ihm masowische Schlaflieder vorsummte und als ihm einmal sein Papa (Mykola Chopin, der in Marainville, Département Vosges geboren worden war, seiner polnischen Abstammung gemäß jedoch 1787 nach Warschau zurückkam und Französisch-Lehrer am Gymnasium war) mit der Flöte lothringische Weisen vorspielte, soll der Kleine das Instrument in zwei Teile zerbröselt und zur Klapper umfunktioniert haben! Als aber das Kleinkind die ersten Töne dem Klavier entlockte und ab da vom Instrument überhaupt nicht mehr wegzubringen war, merkten die Eltern, daß die scheinbare Abneigung gegen Musik offenkundig mehr der Überschärfe seines Gehörs zuzuordnen war als einer möglichen Amusikalität. Tatsächlich – und das ist schon überraschend – war es so, daß Fryderyk Chopin sich alle seine pianistischen Fähigkeiten – und er wurde zu einem der ersten Virtuosen seiner Zeit – alleine angearbeitet hat. Finger für Finger, Taste für Taste, Ton für Ton. Denn seine beiden Lehrer (ab 6 Herr Adalbert Zywny und danach, ab 12, Herr Jozef Elsner) waren Geiger, die das Klavier sicher nur als Ablage für den Geigenkasten handhabten. Also da war mit Fingersatz und ‚Schule der Geläufigkeit‘ nicht viel zu holen. Dennoch blieb Chopin seinem Lehrer Elsner ein Leben lang in Freundschaft verbunden. Mit 8 gab er sein erstes (kleines) Konzert in Warschau, wo er das Klavierkonzert g-moll von Adalbert Gyrowetz darbot. „Es muß eine sensationelle Darbietung gewesen sein“ schreibt Tadeusz Zielinski, den Kleinen scheint aber etwas anderes weit mehr interessiert zu haben: er hatte einen neuen seidenen Kragen für den Auftritt bekommen. „Als nach Schluß des Konzertes, dem seine Mutter nicht beigewohnt hatte, dieselbe ihn umarmend fragte: ‚Was hat denn wohl dem Publikum am besten gefallen?‘, antwortete er frischweg: ‚O Mama, alle schauten nur auf meinen Kragen.‘“ (Mauricy Karasowski „Friedrich Chopin“ Dresden 1877).      
Und der andere Aspekt ist der, auf den Berlioz hinwies, indem er sagte: „Chopin lag sein Leben lang im Sterben“, seine schwächelnde Gesundheit. Über 50 Mediziner haben sich zu seinen Lebzeiten über seinen Auswurf verbreitet, so, daß Chopin am 3. Dezember 1838 seinem Freund Julian Fontana darüber aus Mallorca schrieb: „Die letzten beiden Wochen war ich krank wie ein Hund: trotz 18 Grad Wärme, trotz der Rosen, Orangen und Feigen habe ich mich erkältet. Die drei berühmtesten Ärzte von der ganzen Insel haben mich untersucht; der eine beschnupperte, was ich ausspuckte, der zweite klopfte dort, von wo ich spuckte, der dritte befühlte und horchte, wie ich spuckte. Der eine sagte, ich sei krepiert, der zweite meinte - daß ich krepiere, der dritte – daß ich krepieren werde. Ich aber befinde mich heute wie immer“ und kurz vor seinem Tode: „Meine Ruhe – die werde ich bald ohne die Ärzte haben“) kann man schon nachfühlen, was diesen sympathischen blassen Menschen alles gedrückt hat.
Man kanns verstehen! Lassen wir uns aber vom Ärzteblatt quasi nicht irritieren, hören wir uns lieber an, was er daraus gemacht hat: mit seiner Polonaise op. 40 Nr. 1
 
Hör ich jemanden ‘Robert Schumann‘ rufen? Ja sicher, daß der am 8. Juni 1810 geboren wurde, und wir auch seinen 200. gebührend begehen, liegt ja auf der Hand. Aber dazu später etwas. Liegt mir als Neu-Bonner natürlich besonders am Herzen, wenn auch das tragische Ende(nich) von dem Robert nit so schön war – entschuldigen Sie das Wortspiel, aber ich konnte mich einfach nicht enthalten. Dazu hat Kollege Frank Becker  hier übrigens schon mal ein wenig erzählt.
 
Lassen wir es für heute gut sein und verzeihen Sie mir, daß ich Sie letzten Dienstag versetzt habe (ich hoffe doch, daß Sie das bemerkt haben!). Das hatte technische Gründe. Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche und herrliche Ostertage. Faulenzen Sie mal ordentlich. Sie haben es sich verdient!
 
Ihr
Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker