Sommerwind – Frühlingsdrang

Webern, Mendelssohn und Schumann mit Toshiyuki Kamioka und dem Sinfonieorchester Wuppertal

von Frank Becker
Sommerwind – Frühlingsdrang
 
Das Sinfonieorchester Wuppertal unter Toshiyuki Kamioka
verzauberte mit Webern, Mendelssohn und Schumann
 

Konzert am 22.3.2010 - Sinfonieorchester Wuppertal – Leitung: Toshiyuki Kamioka
 
 
Von sonnendurchdrungener Schönheit

In den vielleicht zartesten Auftakt einer Komposition der Modernen Klassik hinein dudelte am Montagabend bei der Aufführung von Anton Weberns Passacaglia op. 1 im prachtvollen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal ruinös der Klingelton des Mobiltelefons eines völlig

Anton Webern
gedankenlosen, vielleicht rücksichtslosen, sicher aber todunglücklichen Konzertbesuchers. „Erwürgen“ – so der gehauchte Kommentar meiner Begleiterin, einer Dame von ansonsten untadeliger Haltung. Man kann es einfach nicht glauben, daß immer noch und überhaupt angebliche Musikfreunde ein solches Gerät mit in den Konzertsaal nehmen.
Aber: Anton Weberns „Im Sommerwind“ – Idyll für großes Orchester nach einem Gedicht von Bruno Wille nahm dank der hohen Konzentration Toshiyuki Kamiokas und seines über die Maßen motivierten Orchesters keinen Schaden. 1904 von dem 21-jährigen Webern (1883-1945) geschrieben, doch erst 1962 posthum uraufgeführt, ist die Passacaglia op. 1 sicher eines der ästhetischsten Stücke der Konzertliteratur des 20. Jahrhunderts. Aus dem traumgleichen einleitenden dreifachen Piano erhob sich ein grandioser Sommerwind – säuselnd, wehend, Blüten nicken lassend und tirilierend, in den Tutti gewaltige Gewitterberge auftürmend und sich schließlich durchscheinend fast bis zur  Unhörbarkeit aushauchend. War ein wenig Wagner darin zu hören? Gewiß, doch kein schwärmerisches Epigonentum, sondern das sehr reife frühe Werk eines Genies. Ein das Herz öffnendes Erlebnis, ein Hochgenuß von tiefstem Gefühl und unerhörter, sonnendurchdrungener Schönheit. Besser, schimmernder, strahlender, schöner kann man Weberns op. 1 nicht aufführen.
 
Kraftvolles Erwachen
 
Auch bei Felix Mendelssohn-Bartholdys (1809-1847) Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 aus dem Jahr 1830 ist das Werk eines 21-jährigen, 75 Jahre vorher entstanden. Ein begeistertes „Jugendwerk“, wofür die gläubige Wucht dieser „Reformationssinfonie“ spricht und dabei durchweg etwas überladen wirkt. Die Aufführung durch die Wuppertaler Sinfoniker hingegen schälte den hohen Wert der an  kirchenmusikalischen (weihnachtlichen) Zitaten reichen Komposition seelenvoll und tadellos heraus.

„In glücklicher Stimmung und Schaffensrausch“ (so das eloquente Programmheft von Jürgen Ostmann) schrieb Robert Schumann (1810-1856) im Januar/Februar 1841 in nicht einmal vier Wochen seine Sinfonie Nr. 1 B-Dur op.38, die „Frühlingssinfonie“. 1840 hatte er Clara Wieck an deren 21. Geburtstag geheiratet, und beide lebten im Frühling ihrer jungen Ehe.
Weit Raum greifend, beinahe etwas zu gewaltig für eine Frühlingsstimmung beschreibt das Werk das kraftvolle Erwachen nach der Starre des Winters. Farbig, bewegt, opulent lassen die vier Sätze mit den ursprünglichen Bezeichnungen „Frühlingsbeginn – Abend – Frohe Gesellen – Voller Frühling“ Bilder entstehen, wenn das auch nicht Schumanns Absicht war, weshalb er die Bezeichnungen später auch gegen die Tempi austauschte. Mit eindrucksvoller Köpersprache und vollem Einsatz führte Toshiyuki Kamioka das glänzende Orchester mitreißend durch diese herrliche Sinfonie. Ein beglücktes Publikum dankte mit Ovationen.

Auskünfte über das Sinfonieorchester Wuppertal unter: www.sinfonieorchester-wuppertal.de