Hagelschauer

von Friederike Zelesko

Foto © Frank Becker
Hagelschauer
 
 
Wenn der hochgeschossene Kumulusturm nach den Seiten zerfließt, gibt es einen Hagelschauer, sagt Andreas A. So ein Hagelschauer greife in sein Leben ein, bemächtige sich seiner erprobten Denkweise. Da Gewitterwolken Minusgrade aufweisen, verwandle sich das sonst so herrliche Wasser seines morgendlichen Duschbades in Eiskristalle und bohre sich in seine Haut.
Nach den ersten, stechenden Schmerzen sei er irritiert gewesen. Das Signal des Schmerzes durchströme aber nun wohltuend sein Gehirn. Am Abend zuvor sei er ins Bett gegangen und hätte, entgegen seiner Gewohnheit, Fenster geöffnet, Luftströmungen in die Wohnung gelassen, die angesammelten Erinnerungen freigelassen. Es war ihm, als stünde er plötzlich im Aufwind einer offenen Tür, als er die gepackten Koffer seiner wiederkehrenden Ängste hinausgestellt hatte.
Er dusche sich nun jeden Morgen in seinem Schmerz. Er beginne sich in die Verwundung hineinzudenken, indem er die Automatik des Duschknopfes mehrmals drücke. Jedes Mal beim Betreten der Duschkabine entlade sich die Spannung. Der plötzlich ansteigende Druck seines heißen Herzens, die folgende Stoßwelle seiner Tränen, breite sich immer weiter aus. Sie erreiche auch eine andere Wohnung. Sie bestimme von jetzt an mit ihm zusammen die Windrichtung seines Schmerzes. Er sei nicht allein, und folge seiner inneren Stimme. Er steige nun auch  in die Badewanne.



© Friederike Zelesko – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010