Essen vergessen!

Ein Kontrapunkt

von Peter Bilsing

Foto © Frank Becker
Essen vergessen 
 
2013 droht der Abstieg in die kulturelle Provinz
14 Millionen Euro Einsparungen bedeuten
Spartenschließung und zukünftiges
künstlerisches Mittelmaß
 

Man hat den Eindruck, daß sich Kämmerer Lars-Martin Klieve und OB Reinhard Paß tagtäglich mit der Präsentation neuer Sparmodelle zu überbieten versuchen. Fast jeden Tag wird eine neue Einspar-Sau durchs Essener Dorf getrieben. Glaubt man den ernsthaften Berechnungen von Insidern, geht es jetzt bei der TUP (Theater- und Philharmonie Essen) ans Eingemachte. Sagenhafte 14 Millionen Euro müssen wohl ab 2013 eingespart werden. Damit wäre dann der Etat der TUP so hoch, wie heute der alleinige Etat der Rheinoper.
 
Das geht nicht ohne Spartenschließung. GMD Stefan Soltesz („Die neuen Sparvorgaben sind so unrealistisch, daß sie keine Grundlage mehr für Planungen des Musiktheaters sein können“) wird unter diesen Bedingungen das sinkende Schiff sicherlich ebenso verlassen, wie der gerade erst inthronisierte Philharmonie-Chef Dr. Johannes Bultmann („Die jetzt vorgelegten Zahlen sind nicht zu leben…Kultur ist so nicht mehr zu machen!“). Wie es mit Ballett und Schauspiel weitergeht steht in den Sternen. Christian Tombeil, der nach dem durch Sparmaßnahmen begründeten Rücktritt von Anselm Weber ab Sommer das Schauspiel übernimmt, startet in seine erste Saison ohne gesicherten Etat. Ballettdirektor Ben van Cauwenbergh arbeitet schon teilweise nach dem Prinzip, welches den Stadtvätern sicherlich für die Zukunft Essens vorschwebt: CD statt Live-Musik. Die Ballett-Truppe ist überschaubar klein und die Auslastungszahlen sind bei 100 Prozent, dank populärer Themenabende, wie Piaf oder Queen – den wegzusparen wird sich kaum lohnen, denn er trägt sich quasi selbst. Wie wird das Ganze enden?
 
Vielleicht haben wir ab 2013 in Essen nur noch ein Zweisparten-Theater. Das traditionelle Schauspiel wird weggespart, indem man eine Buslinie, einen Theaterbus, nach Bochum und Düsseldorf einrichtet. Dafür erhält Tombeil als Schadenersatz die Intendanz über Oper (regelmäßige Zusammenarbeit mit Krefeld) und Konzerte (Zusammenarbeit mit Bochum). Das Ballett arbeitet als freie Truppe und die Philharmonie wird neben Konzerten auch alternierend für Katzen- und Geflügelausstellungen, Volksfeste, Disco- und Traber-Abende freigegeben. An 30 Tagen im Jahr wird der ständige „Artist in Residence“ André Rieu mit seinem Orchester präsent und ausverkauft sein. Die Stadtväter werden ihm ein 10-Jahres-Domizil einräumen und jeden Abend vor Ort sein, wenn er geigt.
 
Dabei saß man bis dato doch recht großzügig auf hohem Spendierroß - siehe z.B. das millionenschwere Engagement bei den „Schlappekickern“ von Rot Weiß Essen oder die partielle Schuldenübernahme des milliardenschweren RWE-Konzerns Da war vor kurzem noch ne schlichte Rathaustüre für 500.000 Euro drin, und die Intrige um den entlassenen Intendanten Kaufmann schlägt auch noch einmal mit mindestens 2 Millionen zu Buche. Das alles, obwohl man unter der Fuchtel (Zwangsprotektorat) der Düsseldorfer Bezirksregierung stand. Dann auch noch das völlig überflüssige Größenwahnprojekt „Kulturhaupstadt 2010“. Es füllte bisher millionenschwer eher die Honorar-Kasse des armen WDR-Pensionärs Fritz Pleitgen (Vs Ruhr 2010 GmbH), anstatt der Stadt außer Mehrausgaben auch Einnahmen zu bescheren. Aber wer mochte schon den 50 Millionen-Zuschuß der Landesregierung verwelken lassen. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, oder gilt es hier umgekehrt?
 
Die Stadtväter lebten bisher nach dem Motto der ehemaligen DDR „Ausgeben bis die Schwarte kracht und der Laden auseinanderfällt! Geheimverhandeln, freundlich grinsen und schließlich macht der Letzte das Licht aus.“ Nun Stadtväter, Honoratioren und verantwortungslose Politlümmel, bald ist es soweit. „Wartet, wartet nur ein Weilchen…“
Oder kommt er doch, jener „Deus Ex Machina“ namens Bund, in Gestalt von Mutter Courage Merkel und dreht den Hahn, mit denen er die Länder bisher systematisch abgewürgt hat wieder sukzessive auf? Doch woher soll das Geld sonst kommen? Gewerbesteuer? Abschaffung des Soli? Weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer? Gebührenerhöhungen aller Orten? Atemsteuer auf Kohlendioxyd vielleicht? Kauf von noch mehr Steuerhinterzieher-CDs? Kürzungen bei der Jugendhilfe? Altenheime? Abschaffung von Spielplätzen?
 
Wie wär es mit der Einstellung von mehr Steuerprüfern. Laut Statistik bringt jeder neue Steuerprüfer mindestens das 20-fache (oft mehr!) seiner Kosten wieder ein. Nein – dann wandern die wenigen Firmen und Großverdiener, die noch Steuern bezahlen ab in andere Bundesländer! Na das ist doch ein echtes und überzeugendes Argument dagegen! Fazit: Essen – vergessen! Hatte der alte Nostradamus vielleicht doch recht und sich nur um ein paar Dekaden geirrt? Blödsinn, ohne Opernhäuser geht die Welt nicht unter…oder doch?


Redaktion: Frank Becker