Britischer Humor der Extraklasse

Alan Bennett - "Ein Kräcker unterm Kanapee"

von Jürgen Kasten
So lieben wir es...
 
Im letzten Jahr amüsierte Alan Bennett uns mit „Die souveräne Leserin“. Nun beschenkt Wagenbach die deutsche Leserschaft mit einer Sammlung Kurzgeschichten, die Bennett 1988 für BBC Books konzipierte und damit zum Kultautor wurde. Wiederum von Ingo Herzke übersetzt, liegt es frisch in den Buchläden, in feines rotes Leinen gewandet. Für die dekadenten Österreicher, um einmal ein aktuelles Modewort einzustreuen, heißt es „Ein Salzkeks unterm Diwan“. Sechs schwarzhumorige Kurzgeschichten, wie nur ein Engländer sie erzählen kann, enthält das feine Bändchen. In einem ausführlichen Nachwort erklärt Bennett warum er schreibt wie er schreibt.
 
Als Erzähler schlüpft er gerne in die Rolle einer Frau. Sie ist in ihrem Denken wahrscheinlich klarer strukturiert als ein Mann und in der Lage, sich und ihre Umwelt kurz und prägnant auf den Punkt zu bringen. Ihre Gefühlslage offenbart sich uns wie ein offenes Buch und wir sehen sie deutlich vor uns. Wie zum Beispiel Lesley, Anfang dreißig, mit aufregender Oberweite („Ihre große Chance“). Sie sitzt am Morgen in ihrer Wohnung und überdenkt ihre momentane Situation: „Letzte Woche habe ich einen Mann erschossen. Es war eine interessante Erfahrung…“

Die ersten Sätze muß ich mehrfach wiederholen, weil ich nicht gleichzeitig lachen und lesen kann. Ein toller Anfang für eine Kriminalgeschichte. Ist aber gar keine. Lesley reflektiert eine Filmszene. Als große Schauspielerin sieht sie sich, sie, die bisher nur Statistenrollen angeboten bekam. Nun tauchte Gunther auf, ein deutscher Regisseur, dem seine Hauptdarstellerin abhanden kam. Lesley bringt sich voll ein, wundert sich über ihre minimalen Textbeiträge und merkt nicht, daß sie in einem Softporno mitspielt.
 
Sechs Menschen, sechs tragisch-komische Schicksale, ausreichend für einen vergnüglichen Leseabend. Da ist zunächst Graham. Mit über vierzig wohnt er noch immer bei seiner betagten Mutter und umhegt sie schroff: „Gib mir deine Zähne. Ich spüle sie aus“. Doch Mutter schert sich nicht um Grahams Meinung. Sie begegnet einem Jugendfreund, der ihr eine Hochzeitsreise auf die Kanarischen Inseln verspricht. Sie weiß zwar nicht, wo das ist, treibt Graham aber mit ihren energischen Vorbereitungen zur Verzweiflung - bis die Blase platzt („Ein Splitter im Zucker“). In „Ein Bett zwischen Linsen“ begegnet uns die Pfarrersfrau Susan. Ihr in der Gemeinde überaus beliebter Gatte ist in Susans Augen ein arger Trottel. Von ehelichen Pflichten hält er nicht viel, obwohl er gerne über Sex predigt. Susan muß sich anderweitig bedienen. Der junge indische Gemüsehändler an der Ecke kommt ihr gerade recht. Gut, daß er auch Spirituosen im Angebot hat. Der Messwein ist doch nicht jedermanns Geschmack.
 
Miss Ruddock wiederum liebt das Briefeschreiben („Frau mit Füllfederhalter“). Höflich und ausführlich weist sie Nachbarn, Firmen und Behörden auf kleine Unannehmlichkeiten hin, die bitteschön zu beheben seien. Warum eines Tages die Polizei vor ihrer Tür steht, versteht sie gar nicht. In „Aufrecht weiter“ trauert Muriel um ihren verstorbenen Mann. So fürsorglich war er und vorausschauend. Er hat Muriel gut abgesichert. Jetzt kümmern sich ihre Kinder um alles, vor allem um die finanzielle Hinterlassenschaft. Nur ein paar Unterschriften hat Muriel auf Dokumente zu setzen, die ihr Sohn ihr vorlegt. So ein Lieber. Daß sie bald in einer kargen Absteige leben wird, ist halt Schicksal.
Die titelgebende Geschichte „Ein Kräcker unterm Kanapee“ kommt mir bekannt vor. Wer hat so was nicht schon selber erlebt? 75 Jahre alt ist Doris. Sie benötigt Pflege und eine Haushaltshilfe. Nichts ist ihr recht. Ständig meckert sie an ihrer Putzhilfe herum. Sie will nicht ins Altenheim, helfen lassen will sie sich aber auch nicht. So muß sie halt alles selber machen, alles kontrollieren, alles nachputzen. Ein Kräcker wird ihr zum Verhängnis.

Man sagt, wir Deutschen sind besonders empfänglich für diesen englischen Humor - jawoll, sind wir. Alan Bennett versteht es darüber hinaus, Tragisches in eine Leichtigkeit und gleichzeitig Absurdität zu transportieren, die nur noch Lachen zuläßt.
Ja, so lieben wir es und die melancholischen Österreicher noch mehr.
Beispielbild


Alan Bennett
Ein Kräcker unterm Kanapee
 
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
 
© 2010 für die deutsche Ausgabe Verlag Klaus Wagenbach
 
Rotes Leinen, fadengeheftet, 144 Seiten, ISBN: 978-3-8031-1268-2, € 15,90 (D), € 16,40 (A), sFr 28,50 (CH)

weitere Informationen unter:
www.wagenbach.de