Im Maelstrom der Leidenschaften

Das Wuppertaler TalTonTheater gibt August Strindbergs "Fräulein Julie"

von Frank Becker
TTT

Im Maelstom der Leidenschaften

Die Schauspieler des TalTonTheaters überzeugen
mit ihrer Aufführung des Strindbergschen Dramas "Fräulein Julie"



Regie
: Jens Kalkhorst - Assistenz: Semra Tastan
Julie: Angela Del Vecchio - Kristin: Sabine Happe - Jean: David Meister
Aufführung im Rex-Theater - Kipdorf 29 - 42103 Wuppertal

Nachspiel als Vorspiel

Der Zuschauer erfährt den Schluß gleich zu Beginn: es wird nicht gut enden, zeigt das erste Bild mit einem Blick hinter die Kulisse – Julie bricht mit durchschnittener Kehle blutüberströmt zusammen. Der Preis für die Lust einer Mittsommernacht war hoch.

Ein Parvenü

Launisch ist sie, lasziv und lüstern – Fräulein Julie, 25 Jahre alt (Angela Del Vecchio), wegen ihrer Herrschsucht vom Verlobten verlassen, sucht sich während der Abwesenheit des gräflichen Vaters in der schwedischen Mittsommernacht ein neues Opfer: den Diener Jean, 30 (David Meister). Der jedoch erweist sich nicht als willfähriges Opfer ihres triebhaften Spiels mit dem Feuer, sondern zahlt nach ersten Skrupeln mit härterer Münze zurück. Meister gibt den gebrochenen  Charakter zwischen gehorsam und herrisch, arrogant, kleinmütig und abstoßend zynisch vielleicht nicht durchweg überzeugend, wenn auch von einer gewissen Faszination. Ein Smigel, ein frauenverachtender Parvenü auf Dienstbotenebene, der aus der ländlichen Enge in die große Welt hinaus will und in der außer Kontrolle geratenen Situation  Julie als Werkzeug dazu benutzen möchte.

Del Vecchio - Meister © TalTonTheater


Die ganze Klaviatur

Angela Del Vecchio hingegen beherrscht in diesem reizvollen Kammerspiel, das so viele Interpretationen zuläßt, als Fräulein Julie die vollständige Klaviatur der Charakterdarstellung, eine prächtige Schauspielerin, der man Hochmut und Enttäuschung, Ärger, Wut, anerzogene Überheblichkeit, Koketterie und unverhohlene Geilheit in jedem Moment in jeder auch noch so kleinen Wendung, Facette oder Haltung abnimmt. Regisseur Jens Kalkhorst lässt sie anfangs auf einem Podest „über“ den Mitspielern stehen – „upstairs – downstairs“. Sie wird diese Höhe in lüsternem Leichtsinn zu Wagners „Liebesnacht“ aus dem „Tristan“ verlassen und bis zum bitteren Ende einbüßen.

Ein Schachspiel der Emotionen

Der Verführerin zunächst moralisch, dann unmoralisch immer ein wenig voraus liefert sich der Domestik mit der gräflichen Dirne ein Gefecht, in dem keiner den anderen schont. Angela Del Vecchio und David Meister gelingen rasante Wortduelle, die Figuren agieren zu Beginn marionettenhaft und fast wie auf einem Schachbrett – eine bestechender Einfall – bis sie jegliche

Del Vecchio - Meister
© TalTonTheater
Distanz verlieren und im Rausch der Sinne nur noch Libido, Angst und Verzweiflung folgen. Jean kann in erotischer Überlegenheit Julie zur Flucht in ein gemeinsames Traumland überreden, bringt sie dazu, den Vater zu bestehlen. Während sich Diener und Herrin brünstig lauernd umkreisen, bleibt die dritte Figur des Spiels am Rande, zeigt aber in ihrer moralischen Haltung große Stärke. Die Köchin Kristin, 35, eine reife Frau mit tiefem, standesbewußtem Charakter, ist mit Sabine Happe stimmig besetzt. Strindbergs Figur der älteren Verlobten Jeans wird von ihr in gedämpfter Schicksals- Ewartung und konsequenter Härte glänzend verkörpert.

Strindberg angemessen

Auch Strindbergs Vorgabe für den Raum wurde angemessen umgesetzt: auf  kleiner Bühne spielt sich die Handlung in der engen Küche des Dienstbotentraktes eines Gutshauses ab. Der Stoff einer im ausgehenden 19. Jahrhundert noch gesellschaftlich tödliche Affäre zwischen Herrin und Diener, die Entdeckung des Diebstahls, verlangte dramaturgisch nach einer radikalen Lösung. Strindberg ließ hier autobiographische Bezüge einfließen. Während Jean in die devote Rolle des

Del Vecchio - Happe - Meister
© TalTonTheater
stiefelputzenden Lakaien zurück fällt, verlässt Julie die Szene mit der untermalenden Musik von „Isoldes Liebestod“ mit dem ihr von Jean aufgedrängten Rasiermesser, das er zuvor plakativ abgezogen hat – ein rascher Schnitt. Man kennt vom Vorspiel die tragische Konsequenz.

Jens Kalkhorst hat eine gelungene Aufführung auf gut eingerichteter Bühne in Szene gesetzt, mit ausgezeichneten Kostümen und einem hoch motivierten Ensemble. Noch zweimal im Wuppertaler Rex-Theater zu sehen: am 19. und 20. Mai, jeweils 20.00 Uhr -
75 Minuten, keine Pause.

Weitere Informationen unter: www.rex-theater.de