Schön war´s!

Stefan Hunstein und die Postkartenfotografie der frühen Jahre der Republik

von Frank Becker
Alles neu...


Stefan Hunsteins
Bearbeitungen von Postkarten aus den Kindertagen der Republik werden zwei Gruppen besonders amüsieren: da wären zum einen die Zeitzeugen, in deren Schubladen oder Alben noch postalische Relikte dieser Zeit schlummern, zum anderen sind es die Kunstbetrachter der neuen Generation, die mit wachem Blick längst erkannt haben, daß Alltags-Produkte mit der Ästhetik der 1950er und 60er Jahre, also jener Epoche, die in der Zeit zwischen 1970 und 2000 häufig kurzsichtig als "Kitsch" oder "häßlich" abgetan wurde, einen ganz besonderen Reiz haben. Nostalgie nennen es die einen, Retro die anderen. Unter dem Strich ist es das selbe.


Mit liebevoller Ironie

Dies sensibel spürend, mit differenziertem Blick erkennend und für seine Zwecke umsetzend hat

     Wilsenroth, S. 26                                      Frankfort/O., S. 27
Stefan Hunstein (*1957) sich einer im reinsten Wortsinn die Ästhetik einer Zeit transportierenden sehr populären Facette der Alltagskultur angenommen: der Ansichtskarte als "kollektives Gedächtnis". Mit seinen dimensionalen und farblichen Bearbeitungen der Postkartenfotografie überhöht er die meist schlichte Aussage des jeweiligen Bildes liebevoll, erhebt Nüchternes zur Idylle oder läßt die scheinbare Idylle anderer Sujets mit beißender Ironie zerplatzen.

Deutschland erfand sich nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs in den Jahren des Wiederaufbaus völlig neu. Möglich und notwendig wurde das durch die Zerschlagung der alten Strukturen, die zum Teil fächendeckende Zerstörung deutscher Städte
in West wie Ost und den Bruch mit der alten "völkischen" Ethik. Fotografen waren von Anfang an dabei - und die Leidenschaft der Menschen, andere am Neuen bzw. dem auf Reisen Gesehenen teilnehmen zu lassen. Per Ansichtskarte. Nimmt man heute eine Karte aus den 50er/60er Jahren in die Hand, wird man sie über ganz bestimmte Kriterien der Motivwahl, des Bildausschnittes und der Kolorierung als Produkt der Zeit identifizieren können. Stefan Hunstein hat dies Typische durch Verstärkung der Farben, bzw. bei s/w-Karten durch Einführung kräftiger Farbflächen unterstrichen. Beinahe unauffällig komprimiert er die Bildmotive, gibt ihnen damit eine Art von "Gartenzwerg-Dimension", die dem zuvor unauffälligen Foto Akzente gibt, die über ein erstes Stutzen aufmerksam machen. "Schön war´s!" - Dieser von Herzen kommende Seufzer ist bei Hunstein mit einem Schmunzeln verbunden, ohne die Erkenntnis, daß es tatsächlich schön war, zu beschädigen.

Die Ästhetik der Flächen

Besonders die Ästhetik architektonischer Flächen wird von Hunsteins Arbeit unterstrichen, gleich ob es sich um die der allgmeinen Wohnungsnot Rechnung tragenden Wohnblocks oder die typischen Siedlungs-Häuser der 50er Jahre handelt. Automobile, Zeichen des neuen Wohlstandes bekommen durch Hervorhebung ihren Platz zugewiesen, die neue Freiheit der Freizeitgestaltung, weit entfernt von KdF, ermöglicht bürgerliche Gemütlichkeit. Die Nüchternheit von Zweckbauten wie der Volksschule Stetten steht bruchlos neben der Putzigkeit eines Enzian-Stüble, das von den Franzosen

    Stuttgart, S. 60                                        Lüdenscheid, S. 61
sinnlos zerstörte und nach Original-Plänen wiederaufgebaute Freudenstadt schöpft den selben Atem wie ein Zeltplatz auf Norderney und die Grindl-Alm, ein Kaufhaus im rheinischen Frechen bekennt sich unter Hunsteins Hand wie die Frankfurter Hauptwache und der Verkehrsbeobachtungsplatz an der Joachimstaler Str./ Ecke Kurfürstendamm in Berlin zu seiner Zeit. 95 von Stefan Hunsteins Arbeiten sind in einem Bildband zusammengefaßt, der kommentarlos (abgesehen von einer Einleitung von Petra Giloy-Hirtz) mit auf eine eine stumme, doch beredte Reise durch ein Land voller Hoffnungen nimmt.

Stefan Hunstein - "Schön war´s!" - © 2009 Hatje Cantz, 151 S., 24,9 x 30,6 cm, gebunden mit Schutzumschlag, 115 farbige Abbildungen,  35,- € / 59,- CHF

Weitere Informationen unter:
www.hatjecantz.de