Plauderstunde

Wie das mit dem Gotthard-Tunnel wirklich war

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Plauderstunde

Wie das mit dem Gotthard-Tunnel wirklich war



Liebe Musenblätter-Leser,

einige von Ihnen wissen ja, daß ich mich unter anderem intensiv mit der Richtigstellung geschichtlicher Abläufe befasse. Nun ist es mir gelungen, einen weiteren beinahe vergessenen Vorgang der römischen Geschichte neu aufzurollen, und der hat mit Hannibal, seiner Alpenüberquerung und – jawohl, mit dem Gotthard zu tun.
 
Wie müssen sich wohl die Karthager unter Hannibal gefühlt haben, als sie damals, 218 v.Chr. mit ihren Elefanten unten in Göschenen warten mußten, bis sie in den eben fertiggestellten Gotthardtunnel eingelassen wurden? Denn (das wußten Sie noch nicht?): der Gotthardtunnel war ja ursprünglich ein römischer Aquädukt (besser: Äquadukt, wie der Rheinländer gerne sagt), der für den Wasserausgleich transalpin – cisalpin sorgen sollte. Als Hannibal das entdeckte, wollte er fortens den Tunnel zu einem weitsichtigen, damals einmaligen strategischen Konzept nutzen, das er nannte: Italien fluten.
Dazu wollte er das Wasser aus dem Vierwaldstätter See nach Göschenen pumpen, von dort mit dem Syphon-Prinzip durch den Tunnel ins Tessin saugen und von dort sollten dann die riesigen Wassermassen die Lombardei fluten, was Italien ab Piacenza südlich zur Insel gemacht hätte - und damit wäre die Antike vollkommen anders gelaufen. Das gigantische Projekt scheiterte an den Wasserpreisen, die den Schweizern vorschwebten: 1 Talent pro 10.000 l Wasser, das sprengte jede Staatskasse. Also mußte sich Hannibal wohl oder übel für den konventionellen Weg entscheiden und ist dann aus Rache an den Leuten aus dem Kanton Uri und der Zentralschweiz in großem Bogen außen um die Schweiz nach Frankreich getrottelt um da über den Col de Clapier nach Turin zu gelangen und damit in den Süden. Eigentlich schade, daß ein so groß angedachtes Projekt ein derartig kümmerliches Ende gefunden hat.

Jahrhundertelang blieb der Gotthard Aquädukt unentdeckt, bis ihn schließlich ein aufmerksamer Schweizer Postkutschenkondukteur entdeckte, als er vor dem Regen auf dem Aufstieg zum Gotthard Schutz suchte. Sofort gab er die sensationelle Entdeckung weiter, die Schweizer verlegten ein paar Schienen in den Tunnel und seit dem 1. Juni 1882 verkehren Züge zwischen Göschenen und Chiasso durch den Gotthardtunnel. Übrigens, und das ist doch ein hübscher schwyzerischer Akzent, wurde diesem Kondukteur die Ehre zuteil, den ersten Postsack auf den Zug laden zu dürfen. Seitdem brauchte auch er nicht mehr den beschwerlichen Weg über den Paß zu nehmen. Und diese legendäre Figur hieß, halten Sie sich fest, so schön kann die Schweiz sein: Alois Zgraggen!
 
Das, denke ich, ist doch mal einen Tusch auf dem Alphorn wert, oder?
 
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker