Plauderstunde

Über Darwin, den Westfalen und Niederkrüchten

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über Darwin, den Westfalen
und Niederkrüchten



Also ich finde ja – abgesehen, daß ich ihm zu seinem 200. Geburtstag herzlichst nachträglich gratuliere – daß Charles Darwin sich die langen Reisen zu den Galapagos-Inseln etc. pp. hätte ersparen können. Um die Vielfalt der Arten zu studieren, hätte er einfach nur nach Nordrhein-Westfalen reisen müssen: hier hätte er sehen können, wie wundervoll unterschiedliche Wege die Natur geht, um Menschen entstehen zu lassen. Er hätte an den Exil-Bayern in NRW beobachten können, wie Bayern als Maulbrüter ihre Babys austragen: sie tragen sie im Kropf bis zur Schlüpfreife aus, was ja auch die Sprechweise des Bayern geprägt hat. Hier hätte er sehen können, wie der Niederrheiner an nebligen Herbstabenden (und nirgends ist der Nebel dichter als dort, du kannst darin beinahe schwimmen!) zwischen 18 und 19 Uhr hinters Haus geht um abzulaichen, hier hätte er auch beobachten können, wie der Ruhrgebietler in Bussen ausschwärmt, wenn die Balzzeit gekommen ist: er fährt dann in den Sauerlandstern oder nach Bad Hönningen, um den idealen Geschlechtspartner zu finden. Hier hätte er letztendlich auch sehen können, wie sich der Westfale ernährt: eine ebenso eigenwillige wie effiziente Methode. Es ist allerdings eines der bestgehüteten Geheimnisse der Menschheit. Ich bin durch eigene Nachforschungen dahinter gekommen und das kam so:
 
Ich kann sein, wo ich will, an meinen rheinischen Abenden sind immer, ich meine, immer!, ich sage mal: Undercover-Westfalen dazwischen. Ich wußte nicht, warum, bis es sich eines Tages aufgeklärt hat. Das war so: Ich bekomme ja jeden Monat den Plan, wo ich wann zu spielen hab. Und da sitz ich vor ein paar Jahren morgens vor der Tasse Kaffe – lecker Tässchen Kaffee, wie man im Rheinland sagt –  schaue auf der Plan, wo bis de denn heut?, und da sehe ich: Heute Abend ist der Beikircher in der Mehrzweckhalle in Niederkrüchten. NIEDERKRÜCHTEN? Nie gehört. Ich wußte weder, daß das ein Ort ist, noch, daß man dahin fahren kann, ich meine, Oberkrüchten, klar, aber Niederkrüchten? Ich gebe in den Navigator „Niederkrüchten“ ein. Was war? Piep piep piep – nix. Ich fahre zur Tankstelle, um in einem nicht genannt werden wollenden blauen Autoatlas nachzugucken, schaue ins Register, ja, da steht „Niederkrüchten“, Seite 57, viertel vor zehn. So lange wollte ich jetzt nicht warten, ich schlage also auf, Seite 57, viertel vor zehn. Genau da war es, Niederkrüchten, genau in der Mitte im Falz.
Niederkrüchten ist immer in der Mitte im Falz. Nur, soviel hatte ich jetzt schon gesehen, daß ich wußte, aha, Mönchengladbach und danach muß de dich von Kuh zu Kuh durchfragen, jot. Ich fahre also los und komme langsam ins Zielgebiet hinger Jlabbach. Ich meine, das ist so, ich hatte schon als Schüler nicht wirklich den Lehrern geglaubt, wenn sie mir erzählten, daß die Erde eine Kugel sei. Zu oft spricht der Augenschein dagegen. So eine Gegend ist auch die vor Niederkrüchten: Intuitiv hältst du da einen Fuß auf der Bremse, weil du weißt, die Erde ist eine Scheibe und gleich kommt der Rand! Jot, ich also vorsichtig weiter, da taucht plötzlich das Ortsschild Niederkrüchten auf.
Ich meine, das ist so, sollten Sie einmal die Gelegenheit haben, des Ortsschildes von Niederkrüchten ansichtig zu werden, Sie werden das selbe spüren wie ich, da hast du nur noch einen Gedanken, nicht, wie bin ich hierhin gekommen, sondern nur, wie komme ich hier wieder weg! Jot, ich fahre also in die Mehrzweckhalle Niederkrüchten – die roch auch so! - und da waren sie wieder, Undercover-Westfalen. Da stellte sich die Frage dann schon definitiv: Wie kommt das denn, wie sind die hierhin gekommen, wie haben die das überhaupt gefunden, Niederkrüchten! Ich meine, gut, Reisefieber. Hat der Westfale auch. Nur, das westfälische Reisefieber ist anders als das, was wir kennen: Es ist extrem ortsgebunden, der Westfale als solcher, und der Ostwestfale im besonderen, ist ja extrem positionsstabil: Wo du ihn hinstellst, da bleibt er. Gut, wo sollte er auch hin?
 
Ja, was für ein Grund kommt denn sonst noch in Frage für diese Omnipräsenz? Ich habe lange gebraucht, um dahinter zu kommen, es liegt an etwas, da kann der Westfale gar nix für. Es liegt an seiner Art der Fortpflanzung. Das ist ja beim Westfalen vollkommen anders als wie bei uns. Ich meine, jot, da könnte man auch mal drüber nachdenken, ob unsere Art sich fortzupflanzen, der Weisheit letzter Schluß ist. Also die Bückerei, die Schwitzerei, die Fragen, „Has de 't bald?“, oder so, also das ist ja nicht immer schön.
Beim Westfalen ist das ganz anders: Der Westfale pflanzt sich durch Pollenflug fort! Die fahren nach Höxter, schütteln die Hose aus und den Rest besorgt der Wind! Und je nachdem, wie der steht, fallen die dann eben in Niederkrüchten vom Himmel!
Deshalb haben wir ja im Rheinland, und da machen alle Sender mit, auch die privaten, ab Ende Februar nach jedem Wetterbericht die Pollenwarnungen. Damit die rheinischen Mädchen wissen, aha, heute ist Paderborn unterwegs, Fenster zu! Ja, sag du mal Deinem Mann:
„Nä, dat es nit, wat do denks, dat es nor, ich han verjesse, de Finstere zozomaache!“
Ich meine: stellen Sie sich vor, Charles Darwin hätte das entdeckt: was hätte so einer alles draus machen können. So war er auf den Galapagos, hat den Finken beim Zahnstochern zugeschaut und uns gesagt, daß wir davon abstammen. Da kann ich nur einen Spruch zitieren, der mir vor ein paar Tagen als Autoaufkleber begegnet ist: „Stumpft der Mensch vom Gaffen ab?“
 
Und wennse irjendswann mal, natürlich irrtümlich, in Niederkrüchten aufschlagen, denkense an mich!
 
Ihr
Konrad Beikircher
 


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker